Anzeige

Entscheidung zum Mittelbereichssensor steht bevor

Anzeige

Während ein Vertrag für die Beschaffung des Taktischen Luftverteidigungssystems (TLVS) auch in diesem Jahr nicht geschlossen wird, könnte womöglich in den kommend Wochen die Auswahl des Mittelbereichssensors erfolgen.

„Wir haben mittlerweile die Zutaten zusammen, um diese Entscheidung fällen zu können“, sagte Dietmar Thelen, Managing Director der TLVS GmbH,  Ende November am Rande der Berlin Security Conference. Seiner Aussage zufolge sind beim Mittelbereichsradar noch alle drei Kandidaten im Rennen. Angeboten haben Hensoldt, Saab und Thales.  Die Empfehlung seines Unternehmens werde allerdings noch mit dem Bundeswehr-Beschaffungsamt BAAINBw abgestimmt. „Wir würden gerne in den nächsten Wochen die Entscheidung verkünden.“

Anzeige

Der Mittelbereichssensor sowie die beiden anderen für TLVS vorgesehenen Radare sollen unter anderem die Boden-Luft-Rakete  Iris-T SL von Diehl steuern. Sollte die Iris-T ohne die beiden großen Radare in den Einsatz gehen, müsse der Mittelbereichssensor dann „suchen, erfassen, aufschalten und die Raketen steuern“, erläuterte Thelen. Die Radare von Saab sowie Hensoldt haben bereits Integrationsarbeiten der Iris-T hinter sich. Dies gebe einen „gewissen Vertrauensvorsprung“ für den Systemintegrator, so der MBDA-Manager.

Anzeige

 

 

 

MBDA-Manager Dietmar Thelen wünscht sich in Kürze eine Entscheidung zum Mittelbereichssensor. Foto: MBDA

Neben den Leistungsparametern bei der Suche und dem Steuern der Lenkwaffe sieht Thelen als drittes Kriterium das Verhalten der Mittelbereichsradare im Gesamtkonzept –  wenn Aufgaben variabel auf die drei bei TLVS zum Einsatz kommenden Radar-Typen verteilt würden. Dabei geht es offenbar sowohl um die technische als auch die industrielle Einbindung.

Ursprünglich war es das Ziel, noch im laufenden Jahr einen unterschriftsreifen Vertrag für das gesamte TLVS-Vorhaben zu verhandeln und ihn durch den Bundestag zu bringen. Bislang haben sich Amtsseite und Generalunternehmen jedoch nicht einigen können. Denn  das BMVg erachtet das Angebot der TLVS GmbH vom Juni  als nicht ausreichend. „Die Auswertung des zweiten Angebotes ergab, dass das Angebot noch nicht den Anforderungen des öAG entspricht, weil wesentliche, zum Teil bereits abschließend verhandelte Leistungen und Vertragsinhalte im Angebot nicht enthalten sind oder die Forderungen des öAG nicht umgesetzt wurden“, heißt es dazu im vergangene Woche veröffentlichten Rüstungsbericht. Der öAG führe derzeit Gespräche mit der Industrie, um zügig eine diesbezügliche Klärung bis Ende des Jahres herbeizuführen.

Effektoren werden beigestellt

Laut Bericht ergibt sich eine Schwierigkeit bei der Vertragsgestaltung durch die Beistellung der beiden Effektoren PAC-3 MSE von Lockheed Martin und Iris-T von Diehl mittels separater Verträge. Wobei die PAC-3 als so genannter Foreign-Military-Sales (FMS)-Vertrag erworben wird.

„Diese beiden Effektoren zu integrieren ist unsere Aufgabe“, erläuterte Thelen. Die TLVS GmbH müsse als Hauptauftragnehmer die Spezifikationen und die Schnittstellen beschreiben und diese mit der US- und der deutschen Seite abstimmen. Dabei erwarte das Amt einen hohen Reifegrad der Verträge, da sie Beistellungen zum Hauptvertrag werden. Insofern greife hier das Prinzip „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“.

Aus dem Rüstungsbericht kann abgeleitet werden, dass für die beiden Effektoren aufgrund des laufenden Verhandlungsprozesses offenbar noch keine finalen Angebote vorliegen.  Der FMS-Antrag werde durch bilaterale regierungsseitige Konsultationen begleitet, mit der Zielsetzung, die Modalitäten für den Zugriff auf die

für TLVS erforderlichen US-Rüstungsgüter und Dienstleistungen im Detail abzustimmen, schreiben die Autoren des Papiers. Die Zeitlinien auf US-Seite seien durch Deutschland nicht zu beeinflussen. Sobald die technischen Vorgaben für die Integration der Iris-T SL ein hinreichendes Qualitätsniveau erreicht hätten, könne die zweite Angebotsaufforderung an den Bieter Diehl Defence erfolgen.

Anpassungen am PAC-3-Flugkörper

Während der  PAC-3-Flugkörper bereits für die Nutzung im Patriot-System beschafft wurde, muss er für den Einsatz bei  TLVS dem Vernehmen nach angepasst werden. Denn er wird nicht aus dem Patriot-Launcher, sondern aus einem Vertikalstartgerät verschossen. Insidern zufolge sind auch noch bestimmte Software-Modifikationen erforderlich.

Presseberichten zufolge gab es in der Vergangenheit intensive Diskussionen über den Zugang der Bundeswehr zur Simulationssoftware für die Raketen. Beobachter vermuten in diesem Zusammenhang, dass die US-Seite ihren deutschen Partnern lediglich ein abgespecktes Modell zur Verfügung stellen wird.

Neben den komplexen Verhandlungen auf Amtsseite mit den USA  dürften für die TLVS GmbH die Anforderungen des BAAINBw an den finalen Vertrag herausfordernd sein. Wie es aus Industriekreisen heißt, erwartet das BAAINBw umfangreiche Zugeständnisse der zuliefernden Unternehmen hinsichtlich Haftung und Nutzungsrechten. Da für privatwirtschaftlich organisierte Firmen damit erhebliche  Risiken verbunden sein können, werden diese in der Regel über den  verlangten Preisen abgebildet.

Beobachter gehen im Augenblick davon aus, dass die Amerikaner vermutlich nicht vor Ende Februar oder Anfang März den  Preisvorschlag  für ihre TLVS-Komponenten präsentieren werden. Wie es heißt, können erst danach die eigentlichen Endverhandlungen beginnen – was wohl eher Monate als Wochen in Anspruch nehmen dürfte.   Da wie beschrieben an TLVS ausländische Anteile – etwa aus Italien und den USA – enthalten sind, würde sich das BAAINBw voraussichtlich auch in den beiden Ländern eine Einschätzung der dortigen Preisprüfungsstellen einholen. Die Vielzahl der noch offenen Punkte macht deutlich, warum sich das TLVS-Vorhaben laut Rüstungsbericht auf einem „kritischen Pfad“ bewegt. Ein Abbruch wird nicht ausgeschlossen.

„Nach wie vor sind die vier Partner in einem Boot“, sagte Thelen mit Blick auf die industrielle Beteiligung von MBDA, Lockheed Martin, Hensoldt und Leonardo. Alle vier Unternehmen würden gemeinsam am MFCR-Radar beteiligt. So wird der Exciter als Komponente der nationalen Systemhoheit von Hensoldt entwickelt.

Twister gegen Hyperschallwaffen

Bei der Konzeption von Luftverteidigungssystemen haben die Planer seit einiger Zeit die Entwicklung von Hyperschallwaffen mit Geschwindigkeiten jenseits Mach 5 im Blick. Um diese bekämpfen zu können, reichen verfügbare Technologien nicht mehr aus. „Wenn Sie Hyperschall abwehren wollen, dann muss der Abfangklugkörper in der gleichen Geschwindigkeitsklasse sein“, erläuterte Thelen in diesem Zusammenhang.  Denn im so genannten Endgame, bei dem  die Abfangrakete den eigenen Sucher aktiviert, müsse sie dem anfliegenden Hyperschall-Flugkörper bei einem Manöver entsprechend folgen können. Dazu ist es erforderlich, dass die Abfangrakete für ähnliche Geschwindigkeiten ausgelegt ist wie das anfliegende Projektil.

Aufgrund dieser Entwicklung dürfte das europäische PESCO-Vorhaben Twister von Interesse für die deutsche Luftverteidigung sein. Denn im Rahmen dieses Projektes soll ein neuer Effektor zur Bekämpfung von Hyperschallwaffen und die dazu erforderliche Aufklärungssensorik im Weltraum entwickelt werden. „Deutschland muss sich am Twister-Programm aktiver beteiligen“, empfiehlt Thelen.  Er wünscht sich eine baldige Entscheidung Berlins, als Partnernation an dem Vorhaben teilzunehmen. Im Augenblick hat die Bundesrepublik lediglich einen Beobachter-Status.
lah/5.12.2019