Anzeige

Bartels kritisiert mangelhafte Fehlerkultur in der Bundeswehr

Anzeige

Der seit dem vergangenen Jahr als Wehrbeauftragter des Bundestages amtierende Hans-Peter Bartels bescheinigt der Bundeswehr in seinem ersten Jahresbericht in einem Kernbereich militärischen Selbstverständnisses – der Auftragstaktik – eklatante Mängel.Das Prinzip des „Führens mit Auftrag“ werde ausgehöhlt, schreibt Bartels in dem heute erschienenen Papier. Der Wehrbeauftragte führt dies auf eine Bundeswehrstruktur zurück, in der die Fehlervermeidung einen sehr hohen Stellenwert habe, „was im Einzelfall zur Vermeidung von Verantwortung überhaupt führen kann“. Eine Mentalität der Absicherung nach allen Seiten, fehlender Mut zu eigenen Entscheidungen, sie lieber Nachfolgern zu überlassen und möglichst jedes nur denkbare Risiko gerichtsfest zu vermeiden, seien nicht selten, heißt es in dem Bericht.

Übersteigerte Absicherungsmentalität

Anzeige

Eine derart übersteigerte Absicherungsmentalität sei riskant, denn militärische Führer müssten in der Lage sein, sich in kürzester Zeit auch Situationen zu stellen und Entscheidungen zu treffen, bei denen nicht die Möglichkeit besteht, alle relevanten Fragen vorab zu klären oder sich nach allen Seiten abzusichern. „Es ist gute Führungstradition der Bundeswehr, dass Verantwortung persönlich wahrgenommen wird“, schreibt der Wehrbeauftragte.

Anzeige

Fehlertoleranz sei geeignet, positive Effekte auszulösen, da aus Fehlern gelernt werde. Bartels fordert deshalb, dass die Verantwortlichen die Möglichkeit erhalten, sich entsprechend zu entwickeln. „Ein Blick auf die kurzen Stehzeiten des Führungspersonals in einzelnen Verwendungen macht deutlich, dass hierin ein Hemmnis liegen könnte“, heißt es in dem Bericht. Verantwortungsbewusstsein und ein guter Führungsstil müssten ebenso wie der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses reifen können, um sich entsprechend zu entwickeln. Hierfür sei Zeit erforderlich.

Kritik an materieller Ausstattung

Scharf kritisiert Bartels, der vor seiner augenblicklichen Aufgabe den Verteidigungsausschuss des Bundestages leitete, die materielle Ausstattung der Bundeswehr. Es fehle nach wie vor an einsatzfähigem Großgerät. Und auch bei der zugehörigen Bewaffnung gebe es zum Teil erhebliche Verzögerungen und Quantitätsdefizite. Der Wehrbeauftrage nennte als Beispiele für derartige Defizite das leichte Lenkflugkörper-System für den Schützenpanzer Puma (Mells), die Panzerabwehrlenkwaffe Pars 3 LR für den Tiger, den schweren Antischiffsflugkörper RBS 15 für die Korvetten und den Luft-Luft-Flugkörper Meteor für den Eurofighter.

Der Luftwaffe stehen bisher lediglich drei Transportflieger A 400M zur Verfügung. Von 114 Eurofightern seien 40 Prozent zur Aufrüstung bei der Industrie, nur 68 Maschinen stünden in den Geschwadern und davon wiederum seien nur 38 im Schnitt einsatzbereit gewesen.

Kaum Hubschrauber verfügbar

Fehlende Ersatzteile hatten laut Bartels zur Folge, dass von 93 Tornados nur 29 einsatzbereit waren. Ebenfalls wegen fehlender Ersatzteile und zu geringer Wartungskapazitäten standen dem Heer von 40 Transporthubschraubern NH 90 nur fünf einsatzbereit zur Verfügung. Von 43 Hubschraubern Tiger waren nur sieben flugbereit.

Die Marine klagte laut Bartels besonders über die fehlende Einsatzbereitschaft beim Hubschrauber Sea King: Von 21 Hubschraubern waren nur drei bis fünf einsatzbereit. Für Einsatz und Ausbildung seien aber mindestens sechs dieser Fluggeräte erforderlich. Gleiches gelte für den Bordhubschrauber Sea Lynx, bei dem nur vier der 22 Maschinen einsatzbereit waren und bei dem für den operativen Minimalbedarf ebenfalls mindestens sechs erforderlich seien.

Festzustellen war im Berichtsjahr den Angaben zufolge darüber hinaus, dass es weiterhin an Ersatzteilen sowie an persönlichen Ausrüstungsgegenständen für den einzelnen Soldaten beziehungsweise die einzelne Soldatin mangele. „Die Bundeswehr hat von allem zu wenig.“ Auch der Ausstattungsstandard des Großgeräts und der sonstigen Ausrüstung sei breit gefächert, von sehr alt bis sehr modern. Modernisierung bedeute allzu oft Verzögerung, Verteuerung und teilweise Qualitätsbeziehungsweise Quantitätslücken, hebt der Bericht kritisch hervor.

Anteil am Bruttoinlandsprodukt sinkt weiter

Bartels zieht das Fazit, dass das Bundesverteidigungsministerium sowohl bei Material als auch Personal nachsteuern muss. Beim Personal sieht der Wehrbeauftrage gegenwärtig eine Lücke von fast 15.000 Soldatinnen und Soldaten gegenüber dem Sollbestand.

Zwar steige der Verteidigungskostenanteil an der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands von 1,16 Prozent im Jahr 2015 auf 1,18 Prozent im Jahr 2016. Bis 2019 sinke dieser jedoch in der mittelfristigen Finanzplanung wieder auf das in der Geschichte der Bundeswehr niedrigste Niveau ab (1,07 Prozent). „Damit wäre Deutschland von der Einhaltung der in der NATO vereinbarten Zielvorgabe von zwei Prozent noch weiter entfernt als je zuvor“, heißt es in dem Bericht.
lah/12/26.1.2016