Nachdem der Haushaltsausschuss des Bundestages am 29. Januar 2025 die entsprechenden Mittel freigegeben hat, hat das Bundeswehr-Beschaffungsamt BAAINBw gestern mit der Dynamit Nobel Defence GmbH (DND) einen Rahmenvertrag über die Herstellung und Lieferung von Abschussgeräten und Patronen der Wirkmittel-90mm-Familie sowie Patronen der Panzerfaust-3-Familie geschlossen. Dies geht aus einer heute veröffentlichten Pressemitteilung von DND hervor.
Mit dem Rahmenvertrag wird die Bundeswehr DND zufolge in die Lage versetzt, „in den kommenden Jahren im hohen fünfstelligen Stückzahlenbereich verschiedene Munitionstypen der beiden Schulterwaffenfamilien“ zu beschaffen. Die Rahmenvereinbarung enthält Unternehmensangaben zufolge einen direkt und fest beauftragten Anteil, welcher sich im hohen zweistelligen Millionen-Euro-Bereich bewegt.
Insgesamt wurden vom Haushaltsausschuss rund 100 Millionen Euro für die Beschaffung der beiden schultergestützten Munitionstypen freigegen, hartpunkt berichtete. Rund die Hälfte des Betrages ist für den Kauf zusätzlicher Panzerfäuste vorgesehen, die andere Hälfte für Abschussgeräte und Patronen der Wirkmittelfamilie Wirkmittel 90mm.
Panzerfaust 3
Die Panzerfaust 3 fungiert seit nunmehr fast 30 Jahren als die Standard-Panzerfaust der Bundeswehr. Als DM12 mit Hohlladungsgefechtskopf wurde die Waffe 1992 in die Truppe eingeführt. Es folgten Weiterentwicklungen der Patronen, über die DM22 mit Doppelhohlladungsgefechtskopf zur DM72 als HEAT-IT-RA (High Explosive Anti-Tank-Improved Tandem-Rocket Assisted). Vor geraumer Zeit wurde dann mit der Patrone DM72A1 des modernsten Typs Panzerfaust 3-IT (Improved Tandem) eine leistungsgesteigerte Version in die Streitkräfte eingeführt. Sowohl die DM22 – mit geringen Stückzahlen – als auch die DM72A1 als derzeitiger Standard sind in der Bundeswehr in Nutzung.
Die Panzerfaust 3-IT hat, je nach verwendeter Visierung, eine Reichweite von bis zu 600 Metern und kann aufgrund ihrer verbesserten Tandem-Hohlladung Panzerstahl bis zu einem Meter ohne Reaktivschutz bzw. 800 mm mit Reaktivschutz durchschlagen. Die Angaben variieren jedoch. Die Bundeswehr spricht beispielsweise von einer Durchschlagsleistung von 700 mm. Es gilt jedoch als gesichert, dass die Waffe die Panzervernichtungstrupps der Bundeswehr in die Lage versetzt, jeglichen Panzer, mit Ausnahme von Kampffahrzeugen mit abstandsaktiven Schutzsystemen, effektiv zu bekämpfen.
Wirkmittel 90mm
Als rückstoßarmes und schultergestütztes Mehrzweckwaffensystem entwickelt, wird das Wirkmittel 90mm seit 2017 an die Spezialkräfte der Bundeswehr ausgeliefert. 2020 wurde beschlossen, das Waffensystem im Rahmen einer Nutzerkreiserweiterung auch weiteren Truppenteilen der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen. Beginnend 2021 wurden beim Heer die Truppengattungen Infanterie, Pioniere und Heeresaufklärung mit dem Waffensystem Wirkmittel 90mm ausgestattet. Zusätzlich wurden die infanteristisch kämpfenden Einheiten von Luftwaffe, Marine und des Unterstützungsbereichs berücksichtigt.
Das im feuerbereiten Zustand nur rund elf Kilogramm wiegende Wirkmittel 90mm mit dem Effektor Spreng MZ mit einem programmierbaren Mehrzweckgefechtskopf befähigt die Soldaten, ein breites Zielspektrum, bei einer Distanz bis 600 Metern im direkten Schuss (leicht gepanzerte Punktziele und Infrastrukturziele) bzw. bis zu 1.200 Metern im Luftsprengpunkt (ungepanzerte Flächenziele), äußerst zielgenau zu bekämpfen. Am Detonationspunkt werden, beispielsweise bei der Patrone Spreng MZ, ca. 3.500 Wolframschwermetallkügelchen in alle Richtungen über dem Ziel beschleunigt. Neben dem genannten Effektor Spreng MZ wurden durch die Bundeswehr auch weitere Munitionssorten (Antistruktur, Nebel RP, Leucht IR und Übung PT) beschafft.
Der Systemhersteller DND hat das Waffensystem Wirkmittel 90mm als Familie konzipiert. Die Basis bildet ein Feuerleitvisier von Hensoldt.
Nachfolgende Effektoren können damit eingesetzt werden:
- Abschussgerät und Patrone 90 mm Spreng MZ DM11, zum Bekämpfen von stehenden und beweglichen ungepanzerten Einzelzielen bis 600 m mit Aufschlagzündung, infanteristische Punktziele in und hinter Deckung bis 1200 m mit Luftzündung.
- Abschussgerät und Patrone 90 mm Nebel RP DM15, zum Blenden des Gegners bis 1.200 m.
- Abschussgerät und Patrone 90 mm Leucht IR DM16, zur Beleuchtung des Gefechtsfeldes bis 1.700 m im nicht sichtbaren Bereich.
- Abschussgerät und Patrone 90 mm Übung DM18, zum Schul- und Gefechtsschießen, markieren von Zielen bis 600 m mit Aufschlagzündung und warnen des Gegners bis 1.200 m mit Luftzündung.
- Abschussgerät und Patrone 90 mm ASM DM22, zum Bekämpfen von leicht gepanzerten, stehenden und beweglichen Fahrzeugen bis 600 m, infanteristischen Zielen in Schutzzuständen und zum Aufbrechen von Schutzzuständen.
Das hervorstechende Merkmal am Wirkmittel 90mm ist die bis dahin unerreichte Fähigkeit, ein ungelenktes und ballistisch fliegendes Geschoss einer Schulterwaffe bis auf eine Distanz von 1.200 m präzise einzusetzen. Dazu misst der Schütze mittels des im Feuerleitvisier integrierten Laserentfernungsmessers die exakte Distanz zum Ziel und gibt an, mit welchem Zündermodus (Aufschlag oder Luftzündung) das Ziel bekämpft werden soll. Über einen Munitionsspeicher, welcher sich im Effektor befindet, erhält das Feuerleitvisier die ballistischen Daten. Diese werden durch das Feuerleitvisier ausgewertet. Nach dem Einschalten des Feuerleitvisiers findet eine Kommunikation mit dem Munitionsspeicher statt. Die geladene Munitionssorte wird dem Schützen im Display angezeigt. Alle notwendigen Informationen werden nach dem Entsichern an den Zünder weitergegeben und dem Schützen in Sekundenbruchteilen in Form einer geänderten Zielmarke einblendet.
Die Kombination der präzise arbeitenden und leicht zu bedienenden Technik befähigt den Schützen – selbst in Stresssituationen – auch bei weiten Entfernungen zu einer hohen Ersttrefferwahrscheinlichkeit. Der Schütze wählt nur das zu bekämpfende Ziel und den dafür zu nutzenden Effektor aus. Alle weiteren Bedienschritte werden im Feuerleitvisier angezeigt.
Waldemar Geiger