Das in Burbach ansässige Rüstungsunternehmen Dynamit Nobel Defence (DND) hat von Rheinmetall Electronics den Zuschlag für die Lieferung von Richtfunktechnik für das Digitalisierungsprojekt „Tactical Wide Area Network“ (TaWAN) zur Anbindung der Bundeswehr-Kräfte an der NATO-Ostflanke nach Deutschland erhalten.
Rheinmetall fungiert als Hauptauftragnehmer für das Vorhaben mit der Bezeichnung „TaWAN LBO RifuMgmt – Taktisches Wide Area Network Landbasierte Operationen“ und hatte DND Digital als Lieferant der Richtfunktechnologie ausgewählt, nachdem es lange danach ausgesehen hatte, dass Thales den Auftrag erhalten würde.
Wie DND Digital heute in einer Mitteilung schreibt, liefert das Unternehmen sein Richtfunksystem mit dem Namen BNET HCLOS (High Capacity Line of Sight) für das Projekt. Das „BNET HCLOS“-Richtfunkgerät sei Teil der Funkgerätefamilie BNET SDR und gelte als eines der leistungsfähigsten Broadband-IP-MANET-Systeme weltweit. Die vom israelischen DND-Mutterkonzern Rafael entwickelte, patentierte Multi-Channel-Reception (MCR)-Technologie ermöglicht es BNET laut Mitteilung, deutlich geringere Latenzzeiten, eine höhere Teilnehmerzahl sowie einen signifikant gesteigerten Netzwerkdurchsatz im Vergleich zu herkömmlichen MANET-Systemen zu realisieren.
In seiner HCLOS-Konfiguration eigne sich BNET ideal für die resiliente Übertragung großer Datenmengen über weite Distanzen, selbst unter herausfordernden elektromagnetischen Bedingungen, schreibt DND. Ein Novum stelle die vollständige Lokalisierung von Produktion und Lizenzierung in Deutschland dar: Erstmalig werden BNET-Systeme, basierend auf israelischer Technologie von Rafael, vollständig in Deutschland gefertigt. Seit Anfang des Jahres entsteht hierfür ein eigener Produktionsstandort in Flintbek bei Kiel, wie es in der Mitteilung heißt.
Gut informierten Kreisen zufolge verfügt die Liegenschaft über einen Perimeterschutz und kann auch bei einer Verschärfung der Sicherheitslage weiter genutzt werden. Wie es heiß, hat Israel dem vollständigen Datentransfer, der für die Produktion erforderlich ist, zugestimmt. Da im Rahmen von TaWAN auch geheime Daten übertragen werden, gelten besonders hohe Ansprüche hinsichtlich Sicherheit, Zertifizierung und nationale Souveränität.
Während die Bestückung von Leiterplatten dem Vernehmen nach bei externen Dienstleistern in Deutschland vorgenommen wird, die auch andere Rüstungsbetriebe beliefern, findet die Endmontage in Flintbek statt. Damit erfolgt die Herstellung sämtlicher Hardware-Komponenten in Deutschland. Das ermöglicht es dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), einen tiefen Einblick in den Fertigungsprozess zu nehmen, was für eine Zertifizierung erforderlich ist. Beobachter rechnen damit, dass Anfang des kommenden Jahres die ersten Funkgeräte fertiggestellt werden.
In einem ersten Schritt sollen offenbar 30 Mitarbeiter in Schleswig-Holstein die Produktion aufnehmen, ein weiterer Personalaufbau wird dem Vernehmen nach vorgeplant, genauso wie der Aufbau von eigenen Entwicklungskapazitäten in einem nächsten Schritt. Insider gehen davon aus, dass das Werk in Flintbek nicht auf die Herstellung von Richtfunktechnik für TaWAN beschränkt ist, sondern auch für die Produktion von Funkgeräten der Typen BNET-V, BNET HH, BNET NANO und tragbare Varianten von BNET HCLOS geeignet sein dürfte.
Andreas Dohrn, Director DND Digital, wird in der Pressemitteilung mit den Worten zitiert: „Mit der Beauftragung im Projekt TaWAN und dem Technologietransfer der BNET-Systeme nach Deutschland entsteht nicht nur ein industrieller Meilenstein für DND Digital – auch Deutschland, Europa und unsere NATO-Bündnispartner profitieren durch den Aufbau eigener Schlüsselkompetenzen im Bereich resilienter Kommunikation.“ BNET HCLOS sei der Auftakt, so Dohrn. Sein Unternehmen sei überzeugt, dass auch weitere nationale und internationale Nutzer die Leistungsfähigkeit der SDR-Technologie von DND erkennen und künftig in ihre Kommunikationsarchitekturen integrieren werden.
Das Projekt TaWAN steht unter großem zeitlichen Druck, da mithilfe der Richtfunktechnologie die Kommunikationsanbindung der deutschen Litauen-Brigade bis nach Deutschland sichergestellt werden soll. Im Falle der zeitgerechten Ablieferung und Umsetzung dürfte das Vorhaben womöglich als Blaupause für andere europäische Nationen dienen, die parallel zur Datenübertragung mittels Satelliten eine Rückfalloption aufbauen wollen, sollte die Übertragung über den Weltraum gestört werden.
Panzerabwehrminen als weiteres Wachstumsfeld
DND war in der Vergangenheit in erster Linie für schultergestützte Panzerabwehrwaffen wie die Panzerfaust 3 bekannt. Neben dem Aufbau der Digitalsparte stellt die Wiederaufnahme der Produktion von Panzerabwehrminen ein weiteres großes Wachstumsfeld für das Unternehmen dar. Vor dem Hintergrund des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine hat die Sperrung von Räumen für viele NATO-Streitkräfte, so auch die Bundeswehr, sprunghaft an Bedeutung gewonnen. Wie DND-CEO Michael Humbek vergangene Woche bei einem Parlamentarischen Abend seines Unternehmens in Berlin ausführte, war DND in den 80er-Jahren der größte Hersteller von Panzerabwehrminenwaffen. Er geht davon aus, dass das Unternehmen diese Position in Zukunft wieder einnehmen wird.
Im Rahmen der veränderten Bedrohungslage hat DND die seit den 80ern bei der Bundeswehr in Einsatz befindliche Wurfmine AT2 zur AT2+ weiterentwickelt und für den Ausstoß eine 10-Fuß-Plattform mit vier Werfern mit dem Namen Skorpion² konstruiert, die auf verschiedenen Fahrzeugen genutzt werden kann. Die AT2+ wurde ebenso wie Skorpion² im Juni vergangenen Jahres auf der Messe Eurosatory in Paris erstmals vorgestellt. Bei der AT2+ handelt es sich laut Hersteller um eine programmierbare, streuungsfähige Panzerabwehrmunition mit digitalisierter Steuerung und einem Multisensorsystem, welches unter der gesamten Breite eines Kampfpanzers wirkt.
Dem Vernehmen nach soll sich die AT2+ bereits in der Produktion befinden und noch im laufenden Jahr an einen Kunden geliefert werden. In der Vergangenheit waren mehrfach Berichte aufgetaucht, wonach die ukrainischen Streitkräfte die AT2 nutzen.
Die zweite Panzerabwehrmine, die von der Bundeswehr eingesetzt wird, ist die DM31. Zur Verlegung wurde erst vor wenigen Jahren das Minenlegesystem 85 reaktiviert. Insider gehen davon aus, dass die Bundeswehr großes Interessen sowohl an der Nachbeschaffung der Wurfmine als auch der Verlegemine hat. Allein der Bedarf der Bundeswehr, die nach Aussage von Kanzler Friedrich Merz zur stärksten konventionellen Armee Europas hochgerüstet werden soll, dürfte die Auftragsbücher von DND füllen. Wie Humbek bei der Veranstaltung sagte, hat sich der Umsatz von DND in den vergangenen Jahren stark erhöht. Er rechnet im laufenden Jahr mit Verkaufserlösen von mehr als 200 Millionen Euro bei rund 500 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Auf Sicht seien sogar 400 Millionen Euro denkbar.
Lars Hoffmann