Deutschland und Großbritannien wollen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik stärker kooperieren. Am Mittwoch, den 23. Oktober, werden deshalb Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein britischer Amtskollege John Healey in London eine neue Verteidigungsvereinbarung unterzeichnen. Wie das Verteidigungsministerium schreibt, handelt es bei der sogenannten „Trinity House Vereinbarung“, benannt nach dem Ort der Unterzeichnung, um die erste dieser Art. Sie stelle die Weichen für eine noch engere Zusammenarbeit beider Länder und sei Ausdruck der britischen Neuausrichtung gegenüber Europa.
Wie es heißt, geht es darum, den europäischen Pfeiler in der NATO nachhaltig zu stärken und weiterzuentwickeln. Die Projekte, die sich Großbritannien und Deutschland vornehmen, sind den Angaben zufolge auch für andere Alliierte und EU-Partner offen. Dazu zähle auch das Format E3 (European3) mit Frankreich.
Die Vereinbarung enthält laut BMVg konkrete Schlüsselprojekte für die engere Zusammenarbeit in allen Dimensionen (Luft, Land, See, Weltraum und Cyber). Die Vorhaben im Einzelnen:
- Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie: Angestrebt wird der Ausbau der Industriekooperationen, insbesondere im Bereich Heer. Rheinmetall stellt in seinen britischen Werken in Dorset, Telford, Bristol und im Nordosten des Landes militärische Fahrzeuge her, darunter den Transportpanzer Boxer und – zusammen mit BAE – den Kampfpanzer Challenger 3. Das britische Heer hat 500 Boxer bestellt. Großbritannien und Deutschland wollen im Rahmen der neuen Vereinbarung bei der Entwicklung zukünftiger Anpassungen und Fähigkeiten noch enger zusammenarbeiten. In Großbritannien entsteht demnach ein neues Artillerierohrwerk mit 400 zusätzlichen Arbeitsplätzen.
- Stärkung der Ostflanke: Die Landstreitkräfte beider Länder sollen noch enger zusammenarbeiten, vor allem in den baltischen Staaten, um die Ostflanke der NATO weiter zu stärken. Durch gemeinsame Übungen stellt die Vereinbarung sicher, dass die Landstreitkräfte an der Ostflanke der NATO effektiv abschrecken und im Falle eines Angriffs auf NATO-Territorium in der Lage sind, es zu verteidigen. In diesem Zusammenhang wollen beide Staaten auch eine bessere Drohnen-gestützte Vernetzung unserer Panzerverbände sicherstellen. Zudem werden Kräfte gebündelt, das heißt die gemeinsame Nutzung von Logistik, Lagerung und Versorgung.
- Entwicklung neuer Langstreckenwaffen: Es sollen mit weiteren Partnern neue Systeme mit noch größerer Reichweite und höherer Präzision als derzeit marktverfügbar.
- Schutz kritischer Unterwasserinfrastruktur: Beide Länder wollen gemeinsam zum Schutz der kritischen Unterwasserinfrastruktur und wichtiger Seehandelsrouten beitragen, indem sichergestellt wird, dass es ein klares und umfassendes Unterwasser-Lagebild gibt.
- Deutsche Flugzeuge in Schottland: Deutsche P8A-Seefernaufklärer werden regelmäßig von Lossiemouth aus zum Schutz des Nordatlantik beitragen. Damit wird die Transitzeit verkürzt und gemeinsame Übungen und Einsätze vereinfacht.
- Unbemannte fliegende Systeme und deren Vernetzung: Beide Länder verpflichten sich zur engen Zusammenarbeit bei der Forschung und Entwicklung von unbemannten Flugsystemen und wollen deren Interoperabilität mit zukünftigen Kampfflugzeugsystemen sicherstellen. Diese Arbeiten erfolgen in enger Abstimmung mit Verbündeten und Partnern (vor allem Frankreich). Hierbei kommt es besonders darauf an, dass die heutigen und zukünftigen Luftfahrzeuge und die zu entwickelnden Drohnen miteinander kommunizieren und operieren können.
- Zusammenarbeit bei Luftverteidigungssystemen: Zusammen mit anderen Partnern wollen beide Länder an der Integration von Luftverteidigungssystemen arbeiten, um den europäischen Luftraum besser vor der Bedrohung durch Flugkörper großer Reichweite schützen zu können. Die Grundlage dafür wurde vergangene Woche beim NATO-Verteidigungsministertreffen gelegt.
- Weitere Unterstützung der Ukraine: Beide Staaten arbeiten gemeinsam daran, dass der von Deutschland an die Ukraine abgegebene Sea-King-Hubschrauber mit modernen Flugkörpern ausgestattet werden kann und bauen die Zusammenarbeit im Rahmen von Fähigkeitskoalition aus.
- Neue Gesprächsformate für die Zusammenarbeit: Die Vereinbarung schafft neue Gesprächsformate für die langfristige Kooperation. Vorgesehen sind regelmäßige jährliche Treffen in verschiedenen Formaten bis zur Ministerebene, um die rasche Umsetzung und Weiterentwicklung der gemeinsamen Projekte zu gewährleisten und neue Initiativen zu fördern.
Die Vereinbarung sei ein weiterer Schritt von der Joint Declaration of Intent vom 24. Juli 2024 hin zu dem völkerrechtlich bindenden bilateralen Vertrag zwischen den Regierungen Großbritanniens und Deutschlands, dessen Unterzeichnung für Januar 2025 geplant sei, schreibt das BMVg.
„Großbritannien und Deutschland rücken enger zusammen. Mit verschiedenen Projekten in den Bereichen Heer, Luftwaffe, Marine und Cyber erhöhen wir gemeinsam unsere Fähigkeiten. Wir tragen damit gemeinsam dazu bei, den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO zu stärken. Unsere Kooperationsprojekte sind für andere Partner offen, denn nur gemeinsam können wir unsere Handlungsfähigkeit nachhaltig ausbauen“, wird Verteidigungsminister Boris Pistorius in der Mitteilung zitiert. „Wir zeigen mit der „Trinity House Vereinbarung“: Die NATO-Länder haben die Zeichen der Zeit erkannt, sie verbessern ihre Fähigkeiten zu Abschreckung und Verteidigung. Die Vereinbarung trägt einen wichtigen Teil dazu bei, auch weil sie die richtigen Weichen für die Vorhaben der Zukunft stellt“, so Pistorius weiter. Ihm sei es besonders wichtig, noch mehr zu tun, um die Ostflanke der NATO zu stärken und wichtige Fähigkeitslücken wie etwa bei den weitreichenden Abstandswaffen zu schließen.
Der britische Verteidigungsminister John Healey bezeichnete die Vereinbarung als „Milestone Moment“ in den Beziehungen Großbritanniens zu Deutschland. Sie eröffne bisher nicht dagewesenen Kooperationsmöglichkeiten mit den deutschen Streitkräften und der Industrie. Man werde in den kommenden Monaten und Jahren auf dieser neuen Zusammenarbeit aufbauen, betonte Healey.
lah