Der mittlerweile über drei Jahre andauernde Krieg in der Ukraine ist nach wie vor der Haupttreiber für die rasante Entwicklung im Bereich der Drohnenkriegsführung. Neben technischen Fortschritten haben sich im Verlauf des Krieges auch die taktischen Einsatzgrundsätze erheblich gewandelt, wie Matthias Lehna, Director Business Development & Government Relations beim deutschen Drohnenhersteller Quantum Systems, im Gespräch mit hartpunkt erläutert.
Lehna, ehemaliger Infanterieoffizier, spricht aus der Perspektive eines Unternehmensvertreters, dessen Systeme seit der Zeit kurz nach Kriegsausbruch in der Ukraine im Einsatz sind. Quantum Systems hat mittlerweile über 700 Aufklärungsdrohnen vom Typ Vector an die ukrainischen Streitkräfte geliefert. Im ständigen Austausch mit den Nutzern vor Ort werden wertvolle Erkenntnisse gesammelt, die direkt in die Weiterentwicklung der Systeme einfließen.
Über viele Details kann Lehna aus Sicherheitsgründen nicht sprechen. Dennoch beschreibt er einen klaren taktischen Trend und belegt diesen anhand eines realen Einsatzes zu Beginn des Jahres – das dazugehörige Videomaterial ist allerdings nicht zur Veröffentlichung freigegeben.
Spezialisierte Drohneneinheiten statt improvisierter Nutzung
Demnach werden spezialisierte Drohnen zur luftgestützten Aufklärung, wie etwa die Vector, im Gegensatz zu handelsüblichen Kopterdrohnen nicht nur direkt von der Kampftruppe, sondern auch von speziell aufgestellten Drohneneinheiten eingesetzt – sowohl auf ukrainischer als auch auf russischer Seite. „Unsere Systeme werden derzeit unter anderem von einer sehr erfahrenen Einheit im Raum Kramatorsk/Kreminna eingesetzt – einem der umkämpftesten Frontabschnitte“, so Lehna.
Seiner Einschätzung nach ist heute „die Zielauswahl deutlich relevanter als die unmittelbare Wahl des Effektors“. Im Kriegsverlauf sei ein Wandel im Umgang mit Aufklärungsergebnissen zu beobachten: „Zu Beginn des Krieges wurden Ziele meist sofort bekämpft, sobald sie aufgeklärt waren – aus Sorge, sie später nicht wiederzufinden oder über keine entsprechenden Mittel mehr zu verfügen.“ Inzwischen habe sich jedoch ein strukturierteres Vorgehen etabliert: Nach der Aufklärung folgt die Beobachtung des Ziels, eine Muster- und Strukturerkennung und schließlich eine gezielte Bekämpfung, bei der ganze gegnerische Gefechtsstrukturen ins Visier genommen werden – statt isolierter Einzelsysteme.
Ein konkretes Beispiel dafür liefert Lehna mit einem Einsatz Anfang des Jahres: Zwei russische Rohrartilleriesysteme wurden mit einer Vector-Drohne in einer bezogenen Feuerstellung aufgeklärt. Anstatt sofort anzugreifen, beobachteten verschiedene Drohnensysteme das Zielgebiet über drei Tage hinweg. Dabei wurden nicht nur die Feuerstellung selbst, sondern auch das Versorgungselement der Artillerie sowie das zugehörige Munitionsdepot identifiziert. Erst im Anschluss erfolgte ein koordinierter Artillerieschlag, der alle drei Ziele gleichzeitig neutralisierte.

Diese Methodik sei längst kein Einzelfall mehr. „Solange keine unmittelbare Bedrohung für eigene Truppen besteht, steht heute die Mustererkennung im Vordergrund. Die Frage lautet: Wie erkennt man die dahinterliegenden Strukturen, um sicherzustellen, dass ein System nicht einfach an derselben Stelle wieder eingeführt werden kann?“
Die Methode selbst ist nicht neu – sie gehört zum Grundhandwerkszeug militärischer Aufklärung. Neu hingegen ist, dass sie heute mit vergleichsweise kleinen Drohnen durchführbar ist. Das ist auf die gestiegene Qualität und Verfügbarkeit moderner Aufklärungssysteme zurückzuführen. Eine einzelne Vector-Drohne kann laut Lehna über drei Stunden in der Luft bleiben. Ein Drohnentrupp besteht typischerweise aus zwei bis drei Personen, die mit einer Bedienstation – bestehend aus einem gehärteten Laptop und einer Richtantenne – sowie drei oder mehr Drohnen auf einem Fahrzeug, etwa in der Größe eines Pick-ups, operieren. So können längere Aufklärungseinsätze durchgeführt werden.
Mit Blick auf das Verhältnis von Größe und Leistungsfähigkeit beschreibt Lehna die Vector als „in einem Sweet Spot: klein genug, um nicht sofort durch Radar oder elektronische Aufklärung erkannt zu werden – aber groß genug, um operativ entscheidenden Einfluss zu nehmen“. Die ukrainischen Streitkräfte bestätigen laut Lehna, dass die Vector „weniger störanfällig gegenüber Jammern und elektronischer Kampfführung“ sei – weshalb sie gezielt an besonders umkämpften Frontabschnitten eingesetzt werde.
Wie geht es weiter?
Auf die Frage nach zukünftigen Trends im Bereich der Aufklärungsdrohnen nennt Lehna zwei zentrale Aspekte: zunehmende Automatisierung zur Entlastung des Bedieners und verbesserte Konnektivität. „Wie bekommen wir Sensordaten so zusammengeführt, dass daraus ein echter operativer Mehrwert entsteht?“ fragt er – auch wenn er einräumt, dass das Thema Datenfusion möglicherweise schon „zu oft und zu laut besungen“ wurde. Dennoch ist er überzeugt: „Die Entwicklung geht genau in diese Richtung.“
Ein Beispiel dafür ist MOSAIC UXS, ein kürzlich vorgestelltes, herstellerübergreifendes Führungs- und Einsatzplanungssystem für unbemannte Systeme von Quantum Systems. Es ermöglicht einem einzigen Bediener, mehrere unterschiedliche Drohnen – auch verschiedener Hersteller – gleichzeitig in verschiedenen Einsatzdimensionen zu steuern. Ziel ist es, sowohl Automatisierung als auch Konnektivität zu verbessern, indem neben Drohnen auch Sensoren, Softwareanwendungen und Wirksysteme in das Betriebssystem eingebunden werden.
Ein starker Partner für Quantum Systems im Bereich Landrobotik ist ARX Robotics. Das Unternehmen verfolgt ähnlich wie Quantum Systems eine konsequente Lokalisierungsstrategie in der Ukraine und arbeitet mit an der Entwicklung einer ukrainischen industriellen Wertschöpfung. Auch beim unbemannten Bodenfahrzeug Gereon, das in bestimmten Einsatzgebieten der Vector zur logistischen Unterstützung eingesetzt wird, etwa zur Versorgung gefährdeter Frontabschnitte mit Munition und Material, fließen Erfahrungen aus dem Gefechtsfeld direkt in die Produktanpassung ein.

„Diese enge Verzahnung mit der Realität des Einsatzes ist entscheidend“, so Lehna. „Nur wenn wir die hohen Anforderungen des ukrainischen Militärs erfüllen, ist eine Aufnahme in offizielle Bedarfsmeldungen und damit eine Berücksichtigung bei internationalen Hilfsprogrammen möglich.“
Ein weiterer Trend sei die Konsolidierung der Drohnenlandschaft in der Ukraine. „Aktuell arbeiten die ukrainischen Streitkräfte mit über 240 unterschiedlichen Drohnentypen. Der Wunsch besteht klar darin, diesen ‚Drohnenzoo‘ auf etwa 25 Systeme zu reduzieren“, berichtet Lehna. „Die Ukraine hat inzwischen genügend Einsatzerfahrung gesammelt, um bewerten zu können, welche Systeme einsatzreif sind – und will sich nun auf diese fokussieren.“ Welche Systeme am Ende Teil dieses Kernportfolios sein werden, bleibt offen. Lehna betont jedoch: „Die Ukraine kann selbst mit die besten Drohnen bauen – es gibt nur wenige westliche Anbieter, die hier noch mithalten können.“ Dennoch sieht er Quantum Systems gut aufgestellt: mit einem starken operativen Fußabdruck in der Ukraine – inklusive Entwicklung und Produktion – und mit der Vector als System, das klare operative Vorteile bietet.
Waldemar Geiger