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Vorbereitungen zur Erprobung in der Truppe laufen

Der jüngste Konflikt um Bergkarabach hat erneut die Bedeutung von Drohnen als Aufklärungsmittel und Waffenträger verdeutlicht. Die unbemannten Luftfahrtsysteme haben nach allgemeiner Einschätzung durch Einbindung in ein umfassendes Gefechtskonzept maßgeblich zum Sieg Aserbaidschans über Armenien beigetragen. Auch in der Bundeswehr   wurde die Bedeutung der neuen Technologie erkannt und erste Schritte zur Nutzung unternommen.

Um das Potenzial von Drohnen in Verbindung mit der voranschreitenden Digitalisierung zu untersuchen, wurde 2019 die Studie „Erzeugung eines gläsernen Gefechtsfeldes zur Unterstützung dynamischer Operationen“ – abgekürzt ErzUntGlas – ausgeschrieben.  ErzUntGlas basiert auf der Konzeptidee, dass viele hochautomatisierte, luftgestützte Systeme zur Gewinnung von Bildaufklärungsdaten auf der taktischen Ebene der Kampftruppe genutzt werden. Konkret heißt dies, dass Schwärme ferngesteuerter Drohnen die Aufklärung soweit perfektionieren, dass sich für die eigene Truppe ein transparentes Gefechtsfeld auftut.

Bei der ErzUntGlas-Studie werde daher sowohl ergonomische als auch technologische Aspekte untersucht. Es soll geprüft werden, ob mit dem Konzept quantitativ und qualitativ bessere Aufklärungsergebnisse erzeugt werden können als dies derzeit mit den vorhandenen Mitteln der Kampftruppe möglich ist. Das mit dem Ansatz verbundene erhöhte operative Tempo der Aufklärung soll jedoch ohne Mehrbelastung des dafür vorgesehenen Personals realisiert werden.

Mittlerweile haben erste Tests im Rahmen des Vorhabens, das bis 2023 läuft, stattgefunden. Für das laufende Jahr ist vorgesehen, ein funktionsfähiges System zu entwickeln, das dann 2022 in der Truppe getestet wird. 2023 ist vorgesehen, die Erprobungen im Zugrahmen weiterzuführen. Abhängig von dem Studienfortschritt von ErzUntGlas kann ab 2022 die „Prototypisierung“ und Härtung des Systems starten. Eine Ausschreibung zur direkten Einführung dieser Technologie in die Bundeswehr wird damit möglich.

Leitstand als Kernbestandteil

Das im Rahmen von ErzUntGlas untersuchte Systemkonzept setzt sich wie folgt zusammen:  In einem von KMW gestellten Fahrzeug wird der Leitstand angesiedelt. Dieser Leitstand bildet den Kern der Versuchsanordnung. Über ihn werden die Drohnen gesteuert und die eingehenden Informationen verarbeitet und in die Datennetze bzw. das Battle Management System (BMS) der Truppe eingespeist.  Es soll perspektivisch auch eine Sensor-to-Shooter-Funktionalität untersucht werden, bei der der fliegende Sensor die Feuerleitinformation an einen Effektor weitergibt, der keinen direkten Sichtkontakt zum Ziel hat.

In einem weiteren Fahrzeug werden die Drohnen transportiert.  Dabei handelt es sich um acht Drohnen des Typs Pegasus 30 mit einer Flugdauer von über zwei Stunden, bei einer Geschwindigkeit bis 60 km/h. Die Drohnen sind als Aufklärungsmittel mit optischer und IR-Sensorik ausgestattet. Zwei weitere UAV des gleichen Typs fungieren als Relais-Stellen in der Luft, um die Signalübertragung von den aufklärenden UAVs zum Leitstand und zurück sicherzustellen. Gleichzeitung sollen die Relais-Drohnen LTE- oder 5G-Verbindungen zur Truppe ermöglichen.

Die Kommunikationsfähigkeit sowie der Datenaustausch werden neben den Mobilfunkanteilen durch die B-Net-Technologie des israelischen Konzerns Rafael sichergestellt. Die Fire-Weaver-Technologie des gleichen Unternehmens übernimmt Aufgaben der Künstlichen Intelligenz (KI) und dient dazu, die gewonnenen Aufklärungsdaten zu analysieren, Ziele zu erkennen, zu klassifizieren und in das Battle-Management-System einzuspeisen.

Da der französische Konzern Atos als Hauptauftragnehmer bei ErzUntGlas fungiert, wurde wohl zunächst das von Atos entwickelte französische BMS mit dem Namen Bull für die Versuche genutzt. Zum Zeitpunkt der Ausschreibung hatte sich die Bundeswehr noch nicht auf ein neues BMS festgelegt. Erst später wurde Sitaware ausgewählt.

Interoperabilität sehr wichtig

Da es bei dem Vorhaben um die Gestaltung der Gesamtarchitektur geht, dürfte es wichtig sein, dass es unabhängig von der eingesetzten Hard- und Software funktioniert. Von entscheidender Bedeutung ist jedoch, dass später die von der Bundeswehr genutzten Führungssysteme – wie Tacnet auf der Zugebene und auf den höheren Ebenen Sitaware – unterbrechungsfrei an den Leitstand gekoppelt werden können. Eine grundsätzliche Interoperablität zu Tacnet wurde wohl bereits 2020 demonstriert.

Die Nutzung von Künstlicher Intelligenz ist ein wichtiger Bestandteil der Studie. Zum einen, um die   Drohnen in einem vergleichsweise beschränkten Raum unfallfrei und möglichst effizient operieren zu lassen, zum anderen um Aufklärungsergebnisse automatisiert auszuwerten und schnell ins System einzusteuern. Angestrebt wird dabei, dass die Drohnen bestimmte Ziele eigenständig klassifizieren und ins BMS einspeisen können, was derzeit nur durch geschultes Bildauswertungspersonal möglich ist.

Die erste Informationsverarbeitung soll bereits an Bord – on the Edge – stattfinden, um von Beginn an die Datenflut zur reduzieren. Das System soll so viele Aufklärungsergebnisse wie möglich autonom verarbeiten, die durch den Leitstandoperateur freigegeben werden Nur die Ergebnisse, die durch das System nicht eindeutig analysiert werden können, sollen durch den  Leitstand klassifiziert werden.

Angestrebt wird, dass die KI der Drohnen bis zum Abschluss von ErzUntGlas 2023 lernt,  einige Fahrzeuge auch anhand von einzelnen zur Verfügung stehenden Merkmalen zu identifizieren. Die Beschränkung auf wenige Fahrzeugtypen ist offenbar dem Umstand geschuldet, dass es sehr aufwändig ist, die KI mit ausreichend Trainingsdaten zu speisen. Denn ein Computer kann nur zwischen verschiedenen Fahrzeugen oder anderen Zielen unterscheiden, wenn es ausreichend korrekt gelabelte Bilder der Objekte zur Verfügung hat. Auf dem Gefechtsfeld kommt die Schwierigkeit hinzu, dass die Fahrzeuge getarnt sind oder in gedeckten Stellungen stehen oder nur Attrappen verwendet werden.

Viele Aufwand für KI-Programmierung

Aus diesem Grund ist eine große Anzahl und korrekt bezeichnete Objektbilder erforderlich, um die KI zunächst anzufüttern. Das zeigen auch die Beispiele aus der zivilen Nutzung von KI. Einem Bericht des Economist zufolge beschäftigt etwa die chinesische Daten-Spezialfirma MBH 300.000 Mitarbeiter als so genannte Data Labeler in ganz China, die Gesichter, medizinische Bilder oder Stadtansichten bezeichnen. Nur so kann Software programmiert werden, die eigenständig Dinge erkennen kann.

Grundsätzliche Herausforderungen bei ErzUntGlas sind die Schwarmsteuerung von bis zu 8acht Sensordrohnen im Luftraum, das Management von heterogenen Netzen und nicht zuletzt das operative Tempo der Aufklärungsketten.  Denn das Gefechtsfeld der Zukunft dürfte noch deutlich dynamischer werden.  Einen Mehrwert kann das System jedoch nur bieten, wenn eine hohe Nutzerakzeptanz besteht. Aus diesem Grund muss auch die Mensch-Maschine-Schnittstelle optimiert werden.

Dem Vernehmen nach hat sich bislang gezeigt, dass die von Atos verantwortete Schwarmkontrolle der UAV prinzipiell Basisfunktionalitäten abbildet. Und der mit Controp-Sensoren ausgestattete Pegasus 30 soll gestochen scharfe Bilder liefern.

Sollte das System nach Beendigung der Studie im Jahr 2023 für den Einsatz in der Truppe gehärtet und modifiziert werden, könnte mit der neuen Technik ein typischer Aufklärungs- und Verbindungszug mit zweimal 12 Soldaten bei der technischen Aufklärung deutlich entlastet werden.   Es wäre auch ein geringerer Personalansatz denkbar.  So sind für die Operation nur vier Soldaten erforderlich sowie zwei weitere für Starts und Landungen. Fügt man eine weitere Schicht ein, verdoppelt sich die Zahl der Soldaten, liegt aber noch immer unter der gegenwärtigen Zahl eines Aufklärungszuges. Die genutzten Drohnen könnten etwa einen Lkw als Start- und Landebasis sowie zum Transport nutzen.

Auch was die Leistungsfähigkeit betrifft, dürfte das neue Konzept dem aktuellen mit der Drohne Aladin überlegen sein. Denn während letztere nur eine Reichweite von sechs bis maximal 15 Kilometern haben sollen, fliegen die neuen Drohnen laut Hersteller bis zu 55 km bei Line-of-Sight-Operationen.
lah/10.3.2021

 

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