Verteidigungsminister Boris Pistorius hat heute in Kassel symbolisch die erste von 54 Radhaubitzen des Typs RCH 155 an den ukrainischen Botschafter Oleksii Makeiev übergeben. Damit wird die Ukraine nicht nur zu einem weiteren Nutzerstaat des Radpanzers Boxer, sondern zum ersten Nutzer der RCH 155-Radhaubitze überhaupt. Der Panzerbauer KNDS Deutschland soll dieses Jahr insgesamt sechs dieser modernsten Rohrartilleriesysteme ihrer Art an die ukrainischen Streitkräfte übergeben.
Die symbolisch übergebene Radhaubitze wird jedoch nicht direkt in die Ukraine gehen, sondern zur Ausbildung der ukrainischen Soldaten in Deutschland verbleiben, da es sich bei dem Artilleriesystem um das erste Seriensystem überhaupt handelt. Die tatsächliche Übergabe der ersten Systeme an die Ukraine ist offenbar für den April 2025 vorgesehen. Die Finanzierung der Radhaubitzen erfolgt über die deutschen Unterstützungsleistungen an die Ukraine.
Ab Mitte 2027 soll die Ukraine nach Aussage von Verteidigungsminister Pistorius zudem weitere 18 neugefertigte Panzerhaubitzen 2000 erhalten. Damit werde sie dann über insgesamt 54 Panzerhaubitzen 2000 verfügen, was ebenfalls drei Artilleriebataillonen entspricht. Die internationalen Partner haben bisher bereits 36 Panzerhaubitzen 2000 an die Ukraine abgegeben, davon hat Deutschland allein 25 geliefert.
Die Bundesregierung hatte Medienberichten zufolge bereits im Sommer 2022 der Produktion und Lieferung von 18 Artilleriesystemen RCH 155 an die Ukraine zugestimmt. Mitte Februar 2024 erfolgte dann die Zusage über die Lieferung von 18 weiteren Radhaubitzen vom Typ RCH 155, deren Lieferung für den Zeitraum Ende 2025 bis ins Jahr 2027 angekündigt wurde. Mitte 2024 folgte dann die Bekanntgabe der Beschaffung eines dritten Loses mit ebenfalls 18 Radhaubitzen. Damit sollen Boris Pistorius zufolge drei Artilleriebataillone der Ukraine ausgestattet werden.
Nach Angaben der Bundeswehr wird beabsichtigt, in Deutschland eine 25-Millionen-Euro-Vorlage mit Vorliegen des Haushaltes 2025 in diesem Jahr abzuschließen und die Beschaffung der RCH ins Heer einzuleiten. 80 Systeme für Deutschland sollen aus dem Sondervermögen Bundeswehr finanziert werden.
Bei der RCH 155 handelt es sich um eine Radhaubitze auf Basis einer Boxer-8×8-Plattform. Kernbestandteil der RCH 155 ist das sogenannte Artillery Gun Module, welches ein in Serienproduktion befindlicher, vollautomatischer Geschützturm mit einer aus der Panzerhaubitze 2000 bekannten 155 mm/L52-Waffenanlage von Rheinmetall ist.
In der Radhaubitzenvariante ist das AGM so ausgelegt, dass es im kompletten Wirk- und Richtbereich mit der höchsten Ladung uneingeschränkt schießen kann. Die Fähigkeit zum Feuern aus der Bewegung ist einzigartig auf der Welt und wurde seitens der KNDS-Ingenieure aus der Funktionsweise von Stabilisierungsanlagen, wie sie in Kampf- und Schützenpanzern verwendet werden, abgeleitet. Dabei kalkuliert ein Rechner ständig die aktuelle Lage des Fahrzeuges und des Rohres. Weicht die Rohrrichtung vom errechneten Zielpunkt ab, wird nachgesteuert. Nur wenn die Waffe exakt auf das Ziel gerichtet ist, löst der Rechner den Schuss aus.
Die Besatzung ist dafür verantwortlich, dem System nur dann einen Feuerauftrag zu erteilen, wenn in unmittelbarer Nähe keine Hindernisse sind, die die Flugbahn der Granate behindern könnten. Dabei wird die Besatzung, z.B. in der Variante der RCH 155 für die Ukraine, durch das von Hensoldt entwickelte 360-Grand-Rundumsichtsystem Setas unterstützt. Setas ermöglicht der Besatzung eine effektive Nahfeldbeobachtung. Hindernisse, Bedrohungen und andere Gefahren können schnell erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Dies entlastet nicht nur die Besatzung, sondern trägt auch zu deren Überlebensfähigkeit in Duellsituationen bei.
Die Feuergeschwindigkeit des AGM beträgt mehr als acht Schuss pro Minute. In das AGM wurde ein vollautomatisches Ladesystem für Geschosse und modulare Treibladungen integriert. Die Zünder werden im Ladevorgang induktiv programmiert, die Waffenanlage elektrisch gerichtet. Die Kampfbeladung besteht aus maximal 30 bezünderten Geschossen und 144 modularen Treibladungen und damit rund 50 Prozent mehr, als es typische, auf LKW basierte und im Einsatz befindliche Artilleriesysteme haben. Der Feuerkampf wird durch einen Feuerleitrechner mit integriertem Ballistikrechner und Datenfunk-Anbindung zu einem Artillerieführungssystem unterstützt, der auf eine hochgenaue Navigationsanlage, mit oder ohne GPS-Unterstützung, zurückgreift. Der Turm kann ohne Fahrzeugabstützung um 360 Grad gedreht werden. Die Elevation des Rohres von -2,5 bis 65 Grad erlaubt den Feuerkampf sowohl auf große Entfernung als auch im direkten Richten auf nahe Ziele.
Mit einer Waffenstation ausgerüstete AGM verfügen zudem über eine sogenannte Hunter-Killer-Fähigkeit. Diese dient der Selbstverteidigung. Sie ermöglicht es der Besatzung, in Duellsituationen parallel erkannte Ziele zu bekämpfen und weitere, das Fahrzeug bedrohende Ziele aufzuklären. Während das Fahrzeug automatisiert eine vorher aufgeklärte Bedrohung bekämpft, kann der Kommandant bereits weitere Gegner aufklären und die Bekämpfung einleiten.
Waldemar Geiger