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Langfristiger Schaden für deutschen Schiffbau erwartet

Die geplante Vergabe des Bauauftrags für vier Mehrzweckkampfschiffe 180 (MKS 180) an die niederländische Damen-Werft als Generalunternehmen wird von vielen Beobachtern hierzulande als erster Schritt zum Ausstieg Deutschlands aus dem Bau von komplexen Überwasser-Kriegsschiffen gesehen. Denn mit der in der vergangenen Woche verkündeten Entscheidung für Damen und gegen German Naval Yards Kiel (GNYK) kommen unter anderem deutsche Zulieferer nicht zum Zug. Entsprechend werden sie ihre Technologie und Expertise im Rahmen des Baus der MKS 180 nicht weiterentwickeln können, genauso wenig wie die Werften GNYK und thyssenkrupp Marine Systems (tkMS) als  Unterauftragnehmer .

Darüber hinaus sendet die Entscheidung ein ganz klares Signal in die internationalen Märkte: Das Verteidigungsministerium vergibt den mit einem Volumen von über fünf Mrd EUR wichtigsten nationalen Auftrag der kommenden Dekade für die größten Kampfschiffe, die seit dem 2. Weltkrieg an Nord- und Ostsee auf Kiel gelegt wurden, an eine niederländische Werft, weil es die eigene Industrie für nicht geeignet hält. Eine schlechtere Werbung für den hiesigen Werftstandort ist wohl kaum denkbar.

Keine deutsche Expertise bei Integration

Als besonderes kritisch sehen Beobachter, dass die Integration von Sensorik und Effektoren in ausländischer Hand liegen und das Waffenführungs- und Einsatzsystem sowie wichtige Sensoren und Anlagen aus den Niederlanden, unter anderem von der Tochter der französischen Thales Group, Thales Nederland, kommen werden. Zwar will Damen rund 80 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland erbringen und auch Thales plant offenbar mit einer hohen Wertschöpfung hierzulande. Nur werden voraussichtlich beide Unternehmen die Schlüsselfähigkeiten sowie Weiterentwicklung in ihrem Heimatland belassen – das gebietet schon die wirtschaftliche Logik.

Stellen sich die beiden niederländischen Unternehmen geschickt an, können sie mit dem Geld und den technischen Forderungen aus dem MKS-180-Vorhaben ihre eigenen Produkte weiterentwickeln und  langfristig auf dem Weltmarkt an deutschen Herstellern vorbeiziehen. Schließlich will die Deutsche Marine  laut eigenem Bekunden nach Möglichkeit die modernste Technologie auf ihren Schiffen einsetzen, was sich in den Anforderungen widerspiegelt. Ein Beispiel: Da nun Thales die Feuerleit-Lösung installieren wird, kann der deutsche Radarhersteller Hensoldt – übrigens ein Träger von deutscher Schlüsseltechnologie –  schwerlich sein Portfolio im Rahmen von MKS 180 ausbauen.

Was wird aus Atlas Elektronik?

Womöglich könnten in Folge der Vergabe deutsche Unternehmen bestimmte Fähigkeiten ganz aufgeben oder selbst verkauft werden. In besonderem Maße dürfte das Bremer Tochterunternehmen von tkMS, Atlas Elektronik, von der Entscheidung  betroffen sein. Denn ohne Auftrag für das MKS 180 wird das eigene Führungs- und Waffeneinsatzsystem (FüWes), wie es auf der F125 zum Einsatz kommt, vermutlich nicht weiterentwickelt.  Denn der wichtigste Referenzkunde, die Deutsche Marine, wird es ja nicht in seinem neuesten Projekt  verwenden. Da Deutschlands Seestreitkräfte in der Vergangenheit die Vielzahl der genutzten FüWes-Lösungen als nicht mehr zeitgemäß kritisiert haben, könnte das das jetzt ausgewählte Thales-Angebot womöglich der Einstieg in ein neues Basis-FüWes für weitere Schiffe sein.

Beobachter wollen nicht ausschließen, dass zumindest Teile von Atlas Elektronik erneut zum Verkauf gestellt werden. Insbesondere das Überwasser-Geschäft könnte zur Disposition stehen, da tkMS für seine U-Boote auf die Expertise von Atlas Elektronik in verschiedenen Segmenten des Unterwasserbereichs baut. Potenzielle Käufer dürften sich auch finden: In der Vergangenheit hat der schwedische Saab-Konzern Interesse an Teilen von Atlas Elektronik gezeigt; der französische Rüstungsriese Thales wollte sogar das gesamte Unternehmen schlucken.

Ein Verkauf der gesamten Atlas Elektronik dürfte allerdings schwierig sein, da erst kürzlich mit dem norwegischen Kongsberg-Konzern das Joint Venture kta aufgesetzt wurde. Kta entwickelt das Combat Management System für die norwegisch-deutschen Boote der Klasse 212 CD sowie für alle zukünftigen tkMS-U-Boote. Die Norweger haben über ihr Staatsunternehmen damit Zugriff auf eine Schlüsseltechnologie im U-Boot-Bau. Übrigens hat die niederländische Marine ihr FüWes für Überwasserschiffe selbst entwickelt und hält damit die Nutzungsrechte.

thyssenkrupp sieht Gefahr für Arbeitsplätze

Entscheidend wird sein, welche Zukunft der thyssenkrupp-Konzern von Atlas Elektronik und tkMS sieht. Dass der Konzern offenbar von der Vergabeentscheidung überrascht wurde, dokumentiert ein Tweet von tk-Personalvorstand Oliver Burkhard in der vergangenen Woche. Kurz nach Bekanntwerden der Entscheidung schreibt er, dass nun 1.000 Arbeitsplätze in seinem Unternehmen auf dem Spiel stünden. Und weiter: „#thyssenkrupp hat 2004 auf Bitten der Bundesregierung die Werften übernommen. Nun ist es an der Politik uns zu sagen, wie sie sich eine Zukunft der Werften vorstellt. #Industriepolitik  ade?!“

tkMS als Schiffbausparte des Industriekonzerns weist dagegen darauf hin, nur als Unterauftragnehmer beim GNYK-Angebot fungiert zu haben. Die Arbeitsgemeinschaft von tkMS und Lürssen war mit einem eigenen Vorschlag für MKS 180 vor etwa zwei Jahren vom BMVg aus dem Wettbewerb geworfen worden.

„Unbenommen dieser bedauerlichen Entscheidung werden wir unseren Weg hin zum modernsten Marineunternehmen Europas unbeirrt weitergehen“, schreibt tkMS in einem Statement in Bezug auf die  Vergabe an Damen.  Insbesondere bei kleineren Standorten habe man immer gesagt, dass deren Ausrichtung abhängig von der MKS-Entscheidung zu bewerten sei. Insofern schaue tkMS genau hin, inwieweit die Auslastung dieser Standorte zukünftig auskömmlich gestaltet werden könne, so ein Sprecher des Unternehmens. „Das ist jetzt noch der Fall. Eine negative Entscheidung zum Beschaffungsprogramm MKS180 hat auf die weitere Entwicklung natürlich einen erheblichen Einfluss. Wir schauen uns das jetzt genau an.“

Damit könnte womöglich der  tkMS-Standort Emden, der bereits kurz vor der Schließung stand, nicht mehr zu retten sein. Die in Hamburg angesiedelten Ingenieure der Überwassersparte von tkMS müssen sich vermutlich nicht auf die Arbeitslosigkeit vorbereiten. Zum einen hat tkMS einen Auftrag für Fregatten aus Ägypten in den Büchern –  der womöglich noch ausgeweitet wird –  und steht Presseberichten zufolge kurz vor Unterzeichnung eines Bauvertrages für Korvetten in Brasilien.

Zum anderen wird die Lürssen-Tochter Blohm + Voss in Hamburg als Hauptbauwerft für MKS 180 ihre Belegschaft vermutlich massiv aufstocken müssen. Beobachter wollen nicht ausschließen, dass Lürssen die Komplettübernahme der Hamburger tkMS-Sparte anstreben könnte. Auch Damen wird wahrscheinlich  Personal in Deutschland benötigen.

Auswirkungen auf tkMS denkbar

Sollte es jedoch durch Verkauf oder Abwanderung einen starken Verlust in der Überwasser-Ingenieurssparte von tkMS geben, könnte dies auch Auswirkungen auf den U-Boot-Sektor des Unternehmens haben. Denn wie tkMS-CEO Rolf Wirtz in einem Hintergrundgespräch Ende vergangenen Jahres erläuterte, können bei geringer Auslastung eines Geschäftsteils – etwa Unterwasser – die Ingenieurkapazitäten für den Überwasserbereich genutzt werden, wo mit statistisch hoher Wahrscheinlichkeit ein Auftrag abzuarbeiten sei. Etwa 70 Prozent des Personals ist nach seiner Einschätzung in beiden Bereichen einsetzbar.

Kritik an der Vergabeentscheidung – meist hinter vorgehaltener Hand – kommt nicht nur aus Teilen der deutschen Industrie, sondern auch von den Gewerkschaften.  Die IG Metall Küste hat die europaweite Ausschreibung des MKS 180 von Anfang an als industriepolitische Fehlentscheidung kritisiert. „Keine andere Nation würde bei einem Beschaffungsprojekt solcher Dimension und Bedeutung so vorgehen und damit Arbeitsplätze und Standorte sowie die technische Zukunftsfähigkeit der Branche im eigenen Land in Gefahr bringen“, schreiben Gewerkschaft und die Betriebsräte von Werften und Zulieferern in einem aktuellen Positionspapier nach einem Treffen in Hamburg.

Kritik der Gewerkschaft

Im europäischen Marineschiffbau gebe es keinen fairen Wettbewerb, weil deutsche mittelständische Privatunternehmen gegen ausländische große Staatswerften, zum Beispiel aus Frankreich oder Italien, konkurrierten. „Der Auftrag MKS 180 ist entscheidend für die Sicherung der Grundauslastung der Werften und den Erhalt einer leistungsfähigen wehr- und sicherheitstechnischen Industrie in Deutschland.“ Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sowie in mehreren Beschlüssen des Deutschen Bundestages und der norddeutschen Ministerpräsidentenkonferenz werde die Bundesregierung aufgefordert, den Überwasserschiffbau – wie bereits den Unterwasserschiffbau – als Schlüsseltechnologie zu definieren, so die IG Metall Küste.  Dadurch sollen laut Gewerkschaft künftig nationale Vergaben ermöglicht werden. Dieses Vorhaben werde von einem breiten Bündnis von Abgeordneten in Bund und Ländern, den norddeutschen Landesregierungen sowie der IG Metall, Unternehmen und Verbänden massiv unterstützt.

Tatsächlich soll die Einstufung des Überwasserschiffbaus als Schlüsseltechnologie dem Vernehmen nach noch in diesem Monat im Kabinett behandelt werden. Die Auswirkungen dürften jedoch zu vernachlässigen sein, da die demnächst zur Ausschreibungen anstehenden Tanker und Flottendienstboote – außer bei ihrer Aufklärungstechnik – keine wirklichen Schlüsseltechnologien enthalten. Vielleicht würde die Einstufung sicherstellen, das neue Minensucher auf deutschen Werften entstehen.

Deutschland schlägt mit der Vergabe an Damen einen interessanten industriepolitischen Weg ein: Während etwa Spanien die Junior-Partnerschaft im Airbus-Konzern und bei europäischen Rüstungsvorhaben der Luftwaffe geschickt zum Aufbau seiner eigenen Luftfahrtindustrie genutzt hat, wird Deutschland aller Voraussicht nach mit einem rein national finanzierten und konzipierten Marine-Rüstungsvorhaben Kernfähigkeiten des eigenen Marineschiffbaus dauerhaft eliminieren. Vorausgesetzt, die getroffene Auswahl hat Bestand.

Rüge nicht auszuschließen

Da das Vergabeverfahren gut informierten Kreisen zufolge hohen Standards genügt haben soll, sind die Erfolgsaussichten in einem Rügeverfahren des unterlegenen Bieters GNYK schwer einzuschätzen. Auch ist unklar, ob GNYK diesen Weg überhaupt wählen wird. Das Unternehmen selbst äußert sich gegenwärtig nicht zu seinen Absichten. Es muss sich jedoch in Kürze entscheiden, da die  Einspruchsfrist bald abläuft.

Beobachter vermuten, dass die in Deutschland gut vernetzte Lürssen-Gruppe anstreben wird, Arbeitspakete des MKS-Baus auch bei den unterlegenen Werften zu platzieren, um die Umsetzung des Vorhabens  möglichst geräuschlos voranzubringen. Schließlich arbeiten die drei Partner Lürssen, tkMS und GNYK bereits beim Bau des zweiten Loses Korvetten zusammen.

Als letzte unbekannte Größe bleiben die Haushaltspolitiker des Bundestages, die die so genannte 25-Mio-Vorlage für das Schiffsprojekt genehmigen müssen. Während Politiker aus Schleswig-Holstein die Entscheidung massiv kritisiert haben, scheint im Augenblick unklar, ob sich Bundesländer übergreifend ein Bündnis gegen die Vergabe  bilden könnte. Nicht zuletzt, weil die Wahlkreise wichtiger Haushälter von der getroffenen Entscheidung profitieren.
lah/17.1.2020

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