Das KI-Verteidigungsunternehmen Helsing hat heute mit der HX-2 erstmals eine softwarebasierte, massenproduzierbare und schwarmfähige Kampfdrohne öffentlich vorgestellt, die den Angaben des Unternehmens zufolge dank des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI) widerstandsfähig gegen elektronische Kriegsführung und Störsignale ist.
Die HX-2 wird vom Hersteller als elektronisch angetriebene X-Wing-Präzisionsdrohne mit einer Reichweite von bis zu 100 km beschrieben. Diese Kategorie der Einweg-Kampfdrohnen oder Strike-Drohnen ähnelt eher einer Munition als einer „klassischen Drohne“ oder Loitering Munition, auch wenn gewisse Merkmale vergleichbar sind. Bei dieser Art von Munition handelt es sich um spezifisch für den Einsatzzweck der günstigen und gleichzeitig präzisen Punktzielbekämpfung entwickelte Einwegdrohnen. Im Gegensatz zu Loitering Munition sind sie nicht dafür ausgelegt gegebenenfalls zurückzukehren und wieder aufgenommen zur werden.
Die HX-2 wurde Helsings Angaben nach von Grund auf für die Massenproduktion konzipiert, um Stückkosten im Vergleich zu herkömmlichen Systemen deutlich geringer halten. „HX-2 ist damit eine leistungsstarke Ergänzung zu gängigen Artilleriesystemen“, schreibt das Unternehmen in einer heute veröffentlichten Pressemitteilung.
„Mit HX-2 haben wir einen neuen Drohnentyp geschaffen, der Masse mit Autonomie und extremer Präzision kombiniert. Einzelne HX-2s können gepanzerte Ziele auch in elektromagnetisch stark umkämpften Umgebungen zuverlässig treffen. Wenn sie in großem Maßstab entlang von Landesgrenzen eingesetzt werden, kann HX-2 auch als Invasionsschild gegen Landstreitkräfte dienen“, wird Niklas Köhler, Mitgründer von Helsing, in der Pressemitteilung zitiert.
Weiterhin gibt Helsing an, dass HX-2 bereits in Deutschland produziert wird, zudem werde die zugrunde liegende Software derzeit in der Ukraine eingesetzt. Dies ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass es sich bei den Strike-Drohnen, die Helsing im Auftrag der Bundesregierung bereits an die Ukraine geliefert hat, nicht um die HX-2 handelt.
Eine Aussage des Helsing-Mitbegründers Gundbert Scherf in der Pressemitteilung deutet darauf hin, dass die HX-2 für den Einsatz in den NATO-Streitkräften entwickelt wurde. Was darauf hindeutet, dass das System sowohl hardware- als auch software-seitig entsprechenden Anforderungen der NATO-Staaten entspricht. „Die NATO benötigt dringend Technologien, um die Integrität der Ostflanke zu schützen. Wir bei Helsing haben in die Entwicklung dieser Fähigkeiten investiert, um der NATO durch Masse und Präzision einen Vorteil zu verschaffen. HX-2 bietet Autonomie durch den Einsatz von Software und KI – und das bei vollständiger menschlicher Kontrolle und Aufsicht. Die elektronische Kriegsführung drohte, dies zu untergraben, jetzt geben wir den Bedienern die Kontrolle zurück“, so Scherf.
Hardware-Designmerkmale
Das Design der HX-2 orientiert sich an typischen Designmerkmalen von Lenkflugkörpern, ist aber mit erkennbar größeren, X-förmigen Flügeln und vier elektrischen Propellerantrieben an den Spitzen der vier, ebenfalls X-förmig angeordneten, Heckleitwerken anstatt eines Raketenmotors ausgestattet. Mit einem solchen Design lassen sich sowohl längere Stehzeiten und Reichweiten im Zielgebiet als auch steile Anflugwinkel realisieren. Das Systemgewicht der HX-2 wird mit 12 kg angegeben, die maximale Geschwindigkeit mit bis zu 220 km/h, hier wird es sich vermutlich nicht um die Marschgeschwindigkeit handeln, sondern um die Bekämpfungsgeschwindigkeit im terminalen Zielanflug. Die HX-2 soll Helsing zufolge mit unterschiedlichen Nutzlasten – Mehrzweck, Panzerabwehr, Anti-Struktur-Munition – bestückt werden können.
Anhand der von Helsing veröffentlichten Bilder und Videos ist weder ein Klappmechanismus der Flügel noch eine schwenkbare Optik erkennbar. Daraus lassen sich einige interessante Rückschlüsse ziehen. Der fehlende Klappmechanismus, ähnlich wie bei der russischen Loitering Munition vom Typ Lancet, dürfte die Systemkomplexität gering halten. Ein Start der Systeme erfolgt vermutlich aus speziellen Schienen oder Katapulten. Auch das Fehlen eines Schwenkmechanismus der Optronik bzw. eines Gimbol dürfte das optronische Sichtfeld des Systems enorm einschränken, dafür aber erhebliche zur geringen Systemkomplexität der Strike-Drohne beitragen. In Verbindung mit den vier kleinen Elektro-Antrieben des Systems dürften die Herstellungskosten des Systems signifikant unterhalb von vergleichbaren Loitering Munition dieser Klasse, wie beispielsweise Switchblade 600 oder Hero-120, liegen, welche üblicherweise einen mittleren fünfstelligen bzw. niedrigen sechsstelligen Euro-Betrag kosten. Zudem dürfte die geringe Systemkomplexität dafür sorgen, dass auch die Anforderung an die Produktion geringer und eine Skalierung daher leichter zu bewerkstelligen ist.
Trotz der vergleichsweise „einfachen“ Optronik-Hardware dürfte die HX-2 über eine leistungsfähige optische Aufklärungsfähigkeit verfügen. Der Grund dafür liegt in der Nutzung von Software, die die Leistungsfähigkeit der Hardware signifikant erhöhen können. Das Stichwort dafür ist Software Defined Defence (SDD), dabei kommt der Software der designbestimmende Faktor in der Entwicklung eines Waffensystems zu und der Hardware nur eine „unterstützende“ Rolle.
Was sich sehr abstrakt anhört, lässt sich am Beispiel eines Fotobildes sehr anschaulich erklären. Man stelle sich den Fall vor, dass man ein nach allen Künsten des Fachs gutes Foto-Bild aufnehmen möchte, dass eine Person perfekt ausgeleuchtet vor einem Hintergrund zeigt, welcher leicht verschwommen ist. Der klassische Weg wäre es, sich in den Künsten der Fotografie aus- bzw. weiterbilden zu lassen und sich eine teure Kamera mit einem entsprechenden Objektiv (noch teurer als die Kamera) anzuschaffen. Ein Weg, der viel Zeit und Geld kostet, selbst wenn man keine analoge, sondern eine Digitalkamera nutzen würde.
Daher war es bis vor wenigen Jahren nur wenigen Menschen vergönnt, ein solches vergleichbar „einfaches“ Foto zu schießen. Heute kann dies im Grunde jeder Nutzer eines Smartphones als Nebenprodukt. Die KI-gestützte Software moderner Handys befähigt praktisch jeden Nutzer mit einer winzigen Kamera und ohne jegliche Ausbildung genau solche Bilder am Fließband zu produzieren, erweitert um die Fähigkeit diese sogar an Ort und Stelle zu bearbeiten bzw. verbessern (Filter, Elemente retuschieren, entfernen oder hinzufügen) und mit der ganzen Welt zu teilen.
Der Fotografie-Liebhaber wird an dieser Stelle sicherlich zusammenzucken und anmerken, dass es nicht dasselbe ist und der klassische Weg immer noch Bilder produziert, die besser sind. Ein Blick auf die Fotografie-Preisträgerlisten der letzten Jahre spricht für diese These, dort ist weder der Name des Autors noch die des Lesers zu finden, sondern ausschließlich Namen von Profifotografen, die die Bilder mit Profiausrüstung geschossen haben. Beachtenswert sind aber auch zwei andere Aspekte. Erstens muss nicht jedes Foto gleich ein preisgekröntes Bild sein, damit es einen Platz im Fotoalbum oder im Bilderrahmen an der Wand verdient. Die meiste Zeit wollen Menschen mit einem Bild nur einen ganz bestimmten Moment für die Ewigkeit festhalten und dies am besten nicht verschwommen, ohne rote Augen und ohne störenden Hintergrund. Dafür braucht es keine Profiausrüstung, die einfache Kamera des Smartphones mit entsprechender App bietet für die absolute Mehrheit der Bilder die entsprechend notwendige Leistung.
Der zweite interessante Aspekt ist der Umstand der Skalierung. Geht man nur wenige Jahre zurück, wurden vergleichsweise wenige Bilder geschossen und das mehrheitlich von Profifotografen. Heute hingegen werden weltweit an einem Tag mehr Bilder geschossen als vor wenigen Jahrzehnten in einem ganzen Jahr oder Jahrzehnt geschossen wurden. Und das Ganze zu einer überwältigenden Mehrheit von Menschen ohne nennenswerte Fotografie-Kenntnisse auf einer Hardware deren primäre Funktion auf einem gänzlich anderen Feld (mobiles Kommunikationsendgerät) liegt.
So oder so ähnlich muss man sich den Ansatz vorstellen, wie einfache handelsübliche Kameras auch für den Einsatz in Waffensystemen leistungsgesteigert werden können.
Software-Designmerkmale
Da es sich bei Helsing um ein auf Künstliche Intelligenz spezialisiertes Rüstungsunternehmen handelt, ist es nicht verwunderlich, dass die wesentlichen Leistungsmerkmale der HX-2 softwareseitig bestimmt sind.
Der KI-Einsatz macht die Drohne den Angaben von Helsing nach resistent gegen elektronische Kriegsführung und Störmaßnahmen. „Eigenschaften, die auf Basis von Helsings umfangreichen Erfahrungen in der Ukraine entwickelt und getestet wurden“, so das Unternehmen. Die Aufklärungs- und Steuerungssoftware Altra soll es ermöglichen, mehrere HX-2-Drohnen zu Schwärmen zusammenzufassen, die dann von einem menschlichen Bediener kontrolliert werden.
Die Vermutung liegt zudem nahe, dass neben der Aufklärungs- und Steuerungssoftware auch weitere Funktionen der HX-2 KI-gestützt ablaufen. Neben der einer KI-gestützten Objekterkennung und –Identifikation dürfte die HX-2-Einweg-Kampfdrohne auch über eine GNSS-Signal-unabhängigen Positionsbestimmung und Navigationsfähigkeit verfügen. Diese erlaubt es der Drohne trotz elektronischer Störmaßnahmen sicher und punktgenau operieren zu können.
Die Funktionsweise der Technologie ist im Grunde einfach erklärt. Die von der Sensorik der Drohne gewonnenen Bilder werden permanent mit einem aufgespielten georeferenzierten Kartenbild – generiert durch aktuelle hochauflösende Satellitenbilder – abgeglichen und so die Position der Drohne im Raum berechnet. Da das Gefechtsfeld sich stetig verändert (Wetter, Zerstörungen der Infrastruktur durch Gefecht, …), ist die Genauigkeit der Technologie maßgeblich von der Güte der aufgespielten Kartenbilder (Aktualität und Auflösung) sowie der Fähigkeit des Systems, mit möglichst vielen Referenzpunkte arbeiten zu können, abhängig.
Waldemar Geiger