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Prioritätenverschiebung im Flugkörperbereich – Vormarsch von kostengünstigen „Mini“-Marschflugkörpern

Fabian Hoffmann

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Eine der bemerkenswertesten Entwicklungen im Bereich der Lenkwaffen im vergangenen Jahr war das Aufkommen einer neuen Klasse von „Mini-Marschflugkörpern“. Diese Systeme sollen die Kosteneffizienz im Vergleich zu bestehenden Marschflugkörpern verbessern, ohne dabei auf deren zentrale Vorteile zu verzichten.

Insbesondere beginnen diese Mini-Marschflugkörper eine Fähigkeitslücke zwischen preiswerten Langstreckendrohnen und deutlich teureren „schweren“ Marschflugkörpern zu schließen.

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Dieser Beitrag bietet einen Überblick über die Vorteile dieser Systeme und gibt einen Einblick in laufende Programme in der Ukraine, Nordamerika und anderen Teilen Europas.

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Geringe Kosten, große Wirkung?

Marschflugkörper sind äußerst wirksame Waffensysteme für eine Vielzahl von Einsatzzwecken. Das Problem: Sie sind auch sehr teuer. Selbst der AGM-158B JASSM-ER von Lockheed Martin – der einzige westliche Marschflugkörper, der derzeit in großer Stückzahl gefertigt wird und dadurch von Skaleneffekten profitiert – kostet pro Einheit rund 1,2 bis 1,3 Millionen US-Dollar, ohne dass Betriebskosten wie Ausbildung oder Wartung eingerechnet sind.

Einweg-Angriffsdrohnen mit großer Reichweite, wie die berüchtigte Shahed, lösen das Kosten- und Komplexitätsproblem, da sie oft bis zu zehnmal günstiger sind als herkömmliche Marschflugkörper und gleichzeitig die Möglichkeit bieten, Ziele auf große Entfernungen zu bekämpfen. Außerdem lassen sie sich relativ leicht in Massenproduktion herstellen.

Das Hauptproblem dieser Langstreckendrohnen besteht in ihrer mangelnden Letalität. Diese Drohnen operieren aufgrund einfacher Antriebssysteme in der Regel mit niedrigen Unterschallgeschwindigkeiten und tragen geringe Nutzlasten, oft unter 20 Kilogramm. Dies mag für die Zerstörung weicher Ziele in offenem Gelände ausreichen, bedeutet aber auch, dass eine einfache Betonwand den Schaden vollständig neutralisieren kann, da die Nutzlast die Struktur nicht durchdringen kann (da die Penetrationsleistung in erster Linie von der Form des Sprengkopfs, dem Gewicht des Sprengkopfs und der Aufprallgeschwindigkeit abhängt). Geringe Geschwindigkeit und eine vergleichsweise schlechte Tarnwirkung verringern ebenfalls die Überlebensfähigkeit gegenüber gegnerischen Abwehrmaßnahmen.

Die neue Kategorie von Mini-Marschflugkörpern auf dem Markt könnte einen guten Kompromiss darstellen. Erstens sind Mini-Marschflugkörper aufgrund ihrer geringeren Komplexität und Größe natürlich billiger und auch leichter in Serie zu produzieren als ihre „schwereren“ Gegenstücke. Gleichzeitig behalten sie das allgemeine Fähigkeitsprofil eines klassischen Marschflugkörpers bei, so dass sie eine breite Zielkategorie wirksam bekämpfen können.

Ein Mini-Marschflugkörper mit einem 50 Kilogramm schweren Gefechtskopf, der mit mittlerer bis hoher Unterschallgeschwindigkeit auftrifft, sollte beispielsweise in der Lage sein, mindestens einen bis anderthalb Meter Stahlbeton zu durchschlagen. Halbfeste Ziele, wie z.B. oberirdische Betonbauten, liegen also innerhalb des Wirkungsbereichs.

Mini-Marschflugkörper-Entwicklungsprojekte

Es ist bekannt, dass die Ukraine zwei Mini-Marschflugkörpersysteme einsetzt und entwickelt: Pekklo und Ruta. Die Pekklo hat Berichten zufolge eine Reichweite von 700 km und erreicht mit einem luftatmenden Triebwerk eine Höchstgeschwindigkeit von 700 km/h (Mach 0,57). Die Ruta, die sich Ende 2024 noch in der Entwicklung befand, wird voraussichtlich eine geringere Reichweite von 300 km, aber eine etwas höhere Höchstgeschwindigkeit von 800 km/h haben.

Die verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass die Ukraine erfolgreich Massenproduktionslinien für diese Systeme eingerichtet hat. Die Massenproduzierbarkeit war wahrscheinlich ein Hauptgrund dafür, diesen Flugkörpern den Vorzug vor komplexeren Altprojekten zu geben, wie z. B. einer auf die Bekämpfung von Landzielen optimierte Variante des Neptun-Schiffsabwehrflugkörpers oder dem Khorshun-Marschflugkörper. Ein weiterer wahrscheinlicher Faktor ist, dass die Produktionsanlagen für Mini-Marschflugkörper im Gegensatz zu größeren Flugkörpersystemen leichter in den Untergrund verlegt werden können, was die Überlebensfähigkeit gegenüber russischen Angriffen verbessert.

Ähnliche Entwicklungen sind auch in den Vereinigten Staaten zu beobachten. Mehrere Unternehmen bieten der US-Luftwaffe und -Marine derzeit kostengünstige Marschflugkörperlösungen an, von denen jedoch noch keine die Massenproduktion erreicht hat. Zu den nennenswertesten Bemühungen gehört der Common Multi-Mission Truck von Lockheed Martin – ein kompakter Marschflugkörper, der in den Waffenschacht der F-35 passt und Berichten zufolge eine Reichweite von mehreren hundert Kilometern aufweisen soll, wobei dessen Kosten mit 150.000 Dollar pro Flugkörper angegeben werden.

Start-ups wie Anduril und Zone 5 Technologies sind ebenfalls in dieses Feld eingestiegen und bieten kleinere, kostengünstige Marschflugkörper im Rahmen des „Enterprise Test Vehicle“-Programms der US-Luftwaffe an. Diese Unternehmen legen großen Wert auf die Modularität ihrer Flugkörperdesigns – so dass Komponenten schnell ausgetauscht oder für bestimmte Missionen angepasst werden können – sowie auf Skalierbarkeit, insbesondere durch die Vereinfachung der Herstellungsprozesse. Anduril behauptet zum Beispiel, dass sein System mit nur zehn Werkzeugen montiert werden kann.

Außerhalb der Ukraine ist die Entwicklung europäischer Mini-Marschflugkörper nach wie vor begrenzt. Die bemerkenswerteste Ausnahme ist der RCM² von MBDA Deutschland, ein Marschflugkörper mit einer Reichweite von mehr als 500 km, der von Land-, Luft- und Seeplattformen aus gestartet werden kann. Im Vergleich zu dem größeren deutsch-schwedischen Taurus-Flugkörper ist der RCM² kompakter und verfügt über verbesserte Tarnkappeneigenschaften. Der Preis wurde noch nicht bekannt gegeben, aber die vergleichsweise komplexe Systemarchitektur des Systems lässt vermuten, dass es im oberen Bereich der Kategorie der Mini-Marschflugkörper angesiedelt sein wird.

Erschließung des Marktes für Marschflugkörper

Kompakte Mini-Marschflugkörper bieten klare Vorteile für Streitkräfte, die bereits über vielfältige Flugkörperarsenale verfügen. Sie stellen eine kostengünstige Ergänzung in Szenarien dar, in denen schwere Marschflugkörper zu viel und Langstreckendrohnen unzureichend wären. Darüber hinaus erleichtern ihre geringeren Herstellungskosten den Einsatz von Schwärmen, die sich zu einer Schlüsseltaktik bei der Überwindung von Flugkörperabwehrsystemen entwickelt haben, insbesondere angesichts der Anfälligkeit von Unterschallflugkörpern in umkämpften Gebieten, wie sich in der Ukraine und Russland gezeigt hat.

Mini-Marschflugkörper könnten jedoch den Flugkörpermarkt für andere, vor allem kleinere Staaten öffnen, die die Anschaffung von größeren Marschflugkörpern bisher nicht in Betracht gezogen haben, da sie durch die hohen Kosten der alten Systeme praktisch ausgeschlossen waren. Wenn beispielsweise Mini-Marschflugkörper in ausreichender Zahl nach Europa gelangen, könnten sie Staaten wie Estland, Lettland und Litauen die Möglichkeit bieten, ein glaubwürdiges Arsenal an Langstreckenflugkörpern zu akzeptablen Preisen aufzubauen.

Autor: Fabian Hoffmann ist Doktorand am Oslo Nuclear Project an der Universität Oslo. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Verteidigungspolitik, Flugkörpertechnologie und Nuklearstrategie. Der Beitrag erschien erstmalig am 6.04.2025 in englischer Sprache im „Missile Matters“ Newsletter auf Substack.