Das Future Combat Air System (FCAS), an dem Deutschland, Frankreich und mittlerweile auch Spanien beteiligt sind, gilt als eines der wichtigsten rüstungspolitischen Projekte der kommenden Jahrzehnte in Europa. Um die Dynamik des noch am Anfang stehenden Vorhabens zu verstetigen, soll nach der Vorstellung von Airbus Defence and Space (ADS) bereits im kommenden Jahr mit der nächsten Phase begonnen werden. Bis zum Ende dieses Jahres werde die Angebotslegung für die Phase 1b erfolgen, sagte ADS-CEO Dirk Hoke am Dienstag bei einer virtuellen Paneldiskussion zum Thema „Das Future Combat Air System – Chancen und Herausforderungen für die deutsche Industrie“.
Bei der vom Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) veranstalteten Diskussion legten sieben Spitzenvertreter des Verbandes ihre Positionen zu dem Zukunftsprojekt dar. BDLI-Präsident Hoke betone, dass Europa mit FCAS seine strategische, industrielle und technologische Souveränität sicherstellen werde. „Gleichzeitig ist FCAS mehr als nur ein militärisches Projekt. Es bietet vielmehr die Chance auf signifikante Spill-Over-Effekte in den zivilen Bereich, insbesondere in den Bereichen Vernetzung und Cloud-Architektur“, so der Airbus-Manager.
Anfang 2021 parlamentarische Befassung
Um mit dem Vorhaben voranzukommen, sollen nach Aussage von Hoke noch vor den anstehenden Wahlen in Deutschland und Frankreich die Entscheidung für die Studienphase 1b vorgezogen werden. Dabei ist im Rahmen von 1b vorgesehen, die Technologie weiter zu maturieren und in der zweiten Phase des Teilprojektes im Zeitraum von 2023 bis 2026 Demonstratoren in den verschiedenen Technik-Bereichen zu bauen. Für Deutschland strebt ADS dabei an, im ersten oder zweiten Quartal 2021 in die parlamentarische Befassung zu gehen und noch im zweiten Quartal 2021 den Vertrag zu unterzeichnen. Offenbar wird dieses Zeitplan vom anstehenden Bundestagswahlkampf und der damit eingeschränkten parlamentarischen Handlungsfähigkeit getrieben. In Frankreich stehen Anfang 2022 die Präsidentschaftswahlen an.
Insgesamt sieben Säulen oder Pillars für die zu bearbeitenden technischen Aspekte wurden mittlerweile definiert. Vorgesehen ist, dass sich alle drei beteiligten Staaten zu je einem Drittel an der Studienphase beteiligten. Pro Pillar wird auf Industrieseite in der Regel ein so genannter Prime sowie ein „Main Partner“ definiert. Nach Angaben von Airbus ergibt sich folgende AufstellungM
Next Generation Fighter: Prime Dassault, Main Partner Airbus
Antrieb: MTU, Safran, ITP
Remote Carrier: Prime Airbus, Main Partner MBDA und das spanische Joint Venture satnus
Combat Cloud: Prime Airbus (D/FR/SP) mit Main Partner Thales und Indra
Inter-Pillar-consistency/Simlab: Airbus, Dassault, MTU/Safran co-contracting (nach Angaben von Indra befindet sich das Unternehmen bei diesem Pillar mit im Lead)
Zu den bisherigen fünf Pillars sind zwei weitere hinzugekommen:
Sensoren: FCMS, Thales und Indra – Prime ist Indra in diesem Fall. Bei FCMS handelt es sich um ein auf FCAS fokussiertes Konsortium der deutschen Firmen Hensoldt, Diehl, ESG sowie Rohde & Schwarz
Very Low Observability: Airbus (D/Sp), Dassault – Rollenverteilung noch nicht final entschieden.
Hoke verwies darauf, dass Frankreich für die an FCAS beteiligten französischen Unternehmen rund 200 Mio EUR pro Jahr bereitstellen will. Vor diesem Hintergrund forderte er, dass auch Deutschland im Rahmen eines Masterplanes eine ähnlich hohe Summe für die Start-Ups, Forschungsinstitute und Entwickler aufbringen sollte, um auf Augenhöhe zu bleiben.
BDLI-Vizepräsident Verteidigung und Sicherheit, Michael Schreyögg, der im Vorstand von MTU für Programme zuständig ist, ergänzte, dass von dem primär militärischen FCAS-Programm, ein Innovationsschub nicht nur für die militärische Luftfahrtindustrie, sondern für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland erwartet wird. „Die deutsche Industrie kann und will auf Augenhöhe mit ihren französischen Partnern agieren. So trägt FCAS für viele Jahrzehnte in großem Umfang zur Wertschöpfung und zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Europa bei.“
Joint Venture von MTU und Safran angestrebt
Nach Aussage von Schreyögg wollen MTU und Safran noch im laufenden Jahr ein 50:50-Gemeinschaftsunternehmen für das neue Triebwerk des New Generation Weapon System gründen. Damit sollen auch deutsche Interessen beim Antrieb durchgesetzt werden. In der Vergangenheit gab es dem Vernehmen nach Unstimmigkeiten über die Aufgabenverteilung zwischen den Partnern, wobei sich offenbar Safran in einer Führungsrolle sah. Beide Unternehmen werden laut dem MTU-Manager dabei ihre Stärken einbringen: MTU etwa beim Verdichter und Safran bei der Brennkammer. Angestrebt werde, ein Triebwerk mit einer erhöhten Leistungsdichte zu entwickeln, dass etwa 20 Prozent stärker als das Eurofighter-Triebwerk und 30 bis 40 Prozent stärker als das Rafale-Triebwerk sei. Wie Schreyögg weiter ausführte, werden dazu neue Materialien benötigt, die aus Europa bezogen werden sollen. Damit werde eine unabhängige Supply-Chain auf dem Kontinent erforderlich, wovon die heimische Industrie profitiere.
Nach Einschätzung BDLI Vize-Präsident Ausrüstung & Werkstoffe, Arndt Schoenemann von der Firma Liebherr wird FCAS Technologiesprünge ermöglichen, die weit über die Grenzen der militärischen Luft- und Raumfahrt hinausstrahlen. „Mit diesen Spill-Over-Effekten stärkt FCAS die deutsche und europäische Industrie nachhaltig in der gesamten Wertschöpfungskette, einschließlich unserer deutschen mittelständisch geprägten Zulieferer. FCAS sei Garant für Erhalt und Ausbau hochwertiger Arbeitsplätze am Standort Deutschland ebenso wie für die Stärkung von technischem und industriellem Know-how. Laut MTU-Manager Schreyögg waren in der Hochphase des Eurofighter-Programms rund 110.000 Beschäftigte in Europa eingebunden – 35.000 davon in Deutschland.
Briten mit eigenem Vorhaben
Allerdings hat sich das im Eurofighter-Programm beteiligte Großbritannien mittlerweile dazu entschlossen, mit „Tempest“ ein eigenes Combat Air System zu entwickeln. Daran zeigen Schweden und Italien Interesse. Nach Einschätzung von ADS-Chef Hoke ist dies eine ungute Entwicklung. „Wir können uns zwei Projekte dieser Größenordnung in Europa nicht leisten“, betonte er. Aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Brexit-Verhandlungen sei es jedoch noch zu früh, um mit Großbritannien über eine mögliche Zusammenlegung der Programme zu reden.
Dabei dürfte eine Zusammenarbeit wichtig sein, um das Ziel von FCAS zu erreichen, ein nicht der US-Exportkontrolle gemäß ITAR unterliegendens Gesamtsystem zu entwickeln. Laut Hoke soll FCAS „ITAR free“ sein, um einerseits die heimische Industrie zu schützen, und andererseits die politische Souveränität sicherzustellen. Dazu müssen die intellektuellen Eigentumsrechte bei den beteiligten Nationen liegen. Wie mit diesen Rechten – auch im Fall eines Programm-Abbruchs oder der Nutzung für zivile Anwendungen – verfahren werden soll, wird gegenwärtig zwischen den FCAS-Partnern diskutiert. Laut Hoke befinden sich die Gespräche mittlerweile auf der „Zielgeraden“.
Die Regierungen Deutschlands und Frankreichs haben im Februar 2020 den Rahmenvertrag für die so genannte „Demonstrator-Phase 1A“ des Programms unterzeichnet. Der Vertrag hat eine Laufzeit von 18 Monaten und markiert den Einstieg in eine Technologieentwicklung bei FCAS mit dem Ziel, flugfähige Demonstratoren bis 2026 zu entwickeln. Der Einstieg Spaniens in das Programm in 2019 markierte darüber hinaus einen wichtigen Meilenstein in Richtung einer Europäisierung von FCAS. Laut Hoke ist Spanien seit der vergangenen Woche mit an Bord. Wie Indra schreibt, wurde mittlerweile der Vertrag unterschrieben, durch den das von der spanischen Regierung als nationaler Industriekoordinator vorgesehene Unternehmen zum gleichberechtigten Partner mit Airbus und Dassault an der Joint Concept Study wird.
Die Demonstrator-Phase 1b, die derzeit vorbereitet wird und deren Start im Sommer 2021 geplant ist, bedeutet laut BLDI die Vertiefung der Technologieentwicklung für FCAS. Die Parlamentarier im Bundestag haben das weitere Vorgehen bei FCAS allerdings an die Fortschritte beim deutsch-französischen Main Ground Combat System gekoppelt. Bei letzterem hatten die Bundestagsabgeordneten zuletzt kritisiert, dass ein Nachholbedarf hinsichtlich der Industriestruktur bestehe.
lah/29.7.2020