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Die Rückbesinnung auf den Grabenkampf

Waldemar Geiger

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„Schanzen spart Blut“ besagt eine deutsche Militärweisheit, die über Jahrzehnte hinweg jedem Wehrpflichtigen der Bundeswehr während seiner Grundausbildung von den Ausbildern eingetrichtert wurde. Der Kern der Aussage bezieht sich auf den Umstand, dass Spaten, Zeit und Fleiß den besten Schutz vor ballistischen Bedrohungen bieten, den ein Soldat abseits von gepanzerten Fahrzeugen und Bunkern erreichen kann. Auch nach Ende des Kalten Krieges wurden Generationen von deutschen Soldaten darauf gedrillt, wo und wann immer möglich die eigene Stellung zu verbessern.

Insbesondere im Waldkampf sowie im Kampf abseits von Ortschaften hieß es nach dem Einfließen in den Stellungsraum mantraartig, dass als erstes eine Deckung für den Kopf – auch bekannt als Schützenmulde – gegraben werden soll. Diese ist dann schnellstmöglich zum „Kampfstand, kniend“ und anschließend zum „Kampfstand, stehend“ auszuweiten. Ist dies erreicht, werden die einzelnen Kampfstände zunächst untereinander zu einem provisorischen Stellungssystem verbunden. Anschließend wird dieses dann sukzessive durch Überdachung der Kampfstände und Gänge, Auskleiden der Stellungswände mit Holz oder anderen Baustoffen sowie Anlegen von Unterständen weiter ausgebaut. Dies erforderte viel Übung, Materialien und zudem fachmännische Expertise, welche nicht in jeder Einheit und Teileinheit vorhanden war.

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Mit dem Fokus der deutschen Streitkräfte auf Stabilisierungsoperationen wurden die Schanzausbildung und der Grabenkampf Schritt für Schritt durch andere, vermeintlich relevantere Ausbildungsabschnitte verdrängt. Auch die Entwicklung der Mittel, die das Anlegen von Kampfgraben erleichtern oder den Grabenkampf verbessern, wurden aufgrund mangelnder Nachfrage eingestellt. Der nunmehr fast zwei Jahre andauernde Krieg in der Ukraine hat bei vielen Streitkräften zu einem Umdenken geführt. Ein Blick in den Osten zeigt, dass auch das moderne Gefechtsfeld weiterhin alle Elemente und Mittel der „klassischen Kriegsführung“ benötigt, wozu unter anderem der Grabenkampf zählt.

So ist es nicht verwunderlich, dass auch die Industrie langsam, aber sicher Konzepte und Produkte für einen modernen Grabenkampf sowie dessen Ausbildung entwickelt. Ein Beispiel dafür ist ein Kampfgrabensystem nach dem Lego-Steckprinzip, dass das deutsche Unternehmen Romold, spezialisiert auf industriell gefertigte Kunststoffschächte, seit Ende 2022 entwickelt und in der Bundeswehr bereits im Rahmen eines Prototypenbaus überprüft hat.

Der Kampfgraben von Romold besteht aus unterschiedlichen Kunststoffelementen, die dem Unternehmen zufolge einfach und werkzeuglos zusammengesteckt werden, nachdem ein entsprechender Graben ausgehoben wurde. Bei dem auf dem Truppenübungsplatz Lehnin im Mai 2023 angelegtem „Pilotgrabensystem“ konnte mehrere Vorteile des Systems gegenüber der klassischen Bauweise ermittelt werden: So konnte der Kampfgraben von einer Infanteriegruppe ohne Pionierexpertise errichtet werden und das deutlich schneller, als dies mit einer Holz- oder Wellblechbauweise möglich wäre. Romold gibt an, dass die Infanteriegruppe bei dem Steck-Grabensystem rund 2,6 Meter Kampfgraben pro Stunde anlegen kann, während es mit der klassischen Variante nur 1 Meter sind und zudem Werkzeug notwendig ist. Seit der Errichtung des Prototyps in Lehnin wurde das Konzept weiter verfeinert und ausgebaut. So wurde nach Angaben des Herstellers nicht nur die Breite gemäß den Erkenntnissen aus dem Test um zehn Zentimeter vergrößert, sondern auch das „Klick & Steck“-Prinzip deutlich verbessert. Zudem wurde der Kampfgraben so gestaltet, dass mehrere Gruppensysteme beliebig oft zu weitläufigen Grabensystemen mit überdachten Kampfständen, Gängen sowie Unterständen erweitert werden können.

Dokumentation des Aufbaus des Kampfgrabenprototyps durch Bundeswehrsoldaten. (Video: Romold GmbH)

Dem Hersteller zufolge bietet der Kunststoffgraben nicht nur Vorteile in puncto Aufbauzeit und Gewicht. Dem Kunststoff können Romold zufolge Additive beigemischt werden, so dass eine erheblich geringere Brandlast als bei Holz erreicht wird. Im Optimalfall können Flammen selbst verlöschen. Auch eine Infrarot-Festigkeit des Kunststoffes ist vorhanden, so dass das System unter Verwendung einer Nachtsichtbrille nicht künstlich leuchtet. Hinzu kommt, dass der Kunststoff-Kampfgraben mit der Zeit nicht verrottet, im Gegensatz zum Holz- oder Wellblechpendant beliebig oft auf- und abbaubar ist und sich beschädigte Bauteile leicht austauschen lassen.

Auch wenn man sich schwerlich vorstellen kann, dass zukünftig ganze Frontlinien mittels vorgefertigter Steck-Grabensysteme angelegt werden, bietet das System deutliches Potenzial für den kurzfristigen Einsatz, den Objektschutz sowie für Ausbildung und Übung. Schanzausbildung kann so theoretisch durch jeden Kampftruppenteil ohne Unterstützung der Pioniere erfolgen. Zudem bietet die modulare Bauweise die Möglichkeit angelegte Kampfgrabensysteme von Zeit zu Zeit umzubauen, damit sich keine ungewollte Gewöhnungseffekte in der Grabenkampfausbildung einschleichen.

Waldemar Geiger