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Bundesregierung verabschiedet neues Strategiepapier

Das Bundeskabinett hat in seiner heutigen Sitzung das lange erwartete  Strategiepapier zur Stärkung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie verabschiedet. Im Rahmen der in dem Dokument niedergelegten Vorgehensweise sollen die Bedingungen für hiesige Branchenunternehmen verbessert werden. Konkrete  Maßnahmen werden dabei in den fünf Bereichen Forschung und Entwicklung, Produktionsrahmenbedingungen, Beschaffungswesen, Exportkontrolle sowie Investitionskontrolle vorgeschlagen.

Darüber hinaus legt die Bundesregierung in dem Dokument nationale Schlüsseltechnologien fest und erweitert dabei die Vorgaben des letzten Strategiepapiers von 2015. Neu als nationale Schlüsseltechnologien werden in dem heute verabschiedeten Papier der Marineschiffbau von Überwasserplattformen, Künstliche Intelligenz, Elektronische Kampfführung sowie sicherheitsrelevante IT- und Kommunikationstechnologien aufgelistet. Zur letztgenannten Technologie werden insbesondere Chip-, Netzer- und Verschlüsselungstechnologien, Cyberawehrsysteme sowie Host- und Netzwerkforensik gezählt.

 

 

 

 

Immerhin acht nationale Schlüsseltechnologien hat das Kabinett heute festgelegt.  Quelle: Bundesregierung

Wobei nicht ganz sauber abzugrenzen ist, ob diese neu aufgenommenen Schlüsseltechnologien nicht teilweise bereits in dem Papier von 2015 enthalten sind. Denn während damals eine komplexe Matrix-Einstufung gewählt wurde, wird in dem aktuellen Papier lediglich nach nationaler Schlüsseltechnologie, europäischer und globaler Technologie differenziert. Unklar ist offenbar noch, welche konkreten Auswirkungen die neuen Schlüsseltechnologien auf Beschaffungsprogramme haben. So etwa beim Nachfolgeflugzeug für den Tornado für die elektronische Kampfführung.

Umsetzung durch Haushalts- und Finanzplanung

Das Strategiepapier soll als Maßgabe für die deutsche EU-Politik im Bereich Sicherheits- und Verteidigungsindustrie dienen. Als Sicherheits- und Verteidigungsindustrie wird dabei  die Gesamtheit aller Unternehmen angesehen, die Produkte, Technologien und technische Dienstleistungen zum Zwecke der zivilen Sicherheit und der militärischen Nutzung entwickeln oder produzieren und hierdurch einen Großteil ihres Umsatzes erzielen. Die Umsetzung des Strategiepapiers erfolgt laut Planungen im Rahmen der Haushalts- und Finanzplanung der Bundesregierung.

„Eine elementare Aufgabe des Staates ist es, die Sicherung des inneren und äußeren Friedens sowie die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Zentrale Voraussetzung für die Erfüllung dieser Aufgabe ist eine bestmögliche Ausrüstung der zivilen Sicherheitsorgane sowie der Bundeswehr und ihrer Verbündeten“, schreiben die Autoren des Papiers. Die hierfür notwendigen Schlüsseltechnologien sollen von dauerhaft vertrauenswürdigen Herstellern bezogen werden, ohne dabei von Drittstaaten außerhalb der EU abhängig zu sein,  wie es weiter heißt.

Und weiter: „Industrielle Kernfähigkeiten und strategisch relevante Entwicklungskapazitäten sind am Standort Deutschland und EU zu erhalten und zu fördern.“  Zu berücksichtigen sei dabei, dass einmal aufgegebene Technologien und Fähigkeiten, wenn überhaupt, nur unter großem finanziellen und zeitlichen Aufwand wiederzuerlangen seien. Dabei gelte es, die Kostenvorteile einer verstärkten europäischen Kooperation zu nutzen.

Verzerrte Marktsituation

In dem Strategiepapier weißt die Bundesregierung darauf hin, dass in anderen Ländern insbesondere die Verteidigungsindustrie häufig in staatlicher Hand liegt oder sehr eng mit dem Staat verzahnt ist und damit gleiche Wettbewerbsbedingungen nicht gegeben sind. Bekannte Beispiele sind Rüstungsunternehmen in den EU-Ländern Frankreich, Polen, Spanien oder Italien.

Nicht zuletzt durch die unterschiedlichen nationalen Anforderungen sei die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in der EU nach wie vor national ausgerichtet und stark fragmentiert, heißt es weiter. „Insbesondere ein Verteidigungsbinnenmarkt ist faktisch noch nicht realisiert.“ Dies führt nach Meinung der Bundesregierung in vielen Fällen zu erheblichen Nachteilen in Bezug auf Kosten, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Zusammenarbeit. Die Bundesregierung werde daher durch verschiedene Maßnahmen auf eine verstärkte industrielle Konsolidierung innerhalb Europas hinwirken und erforderliche Prozesse im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen, um so ökonomische Synergien zu fördern und Kohärenz zu stärken.

Um ein aktuelles Bild über die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu bekommen, werde die Bundesregierung eine neue Studie in Auftrag geben, heißt es in dem Dokument. Diese soll grundlegende Kennzahlen, Branchen und Strukturen, Produkte und Märkte sowie Perspektiven und Chancen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie untersuchen.

Ausbau von Forschungskooperationen

Im Bereich von Forschung und Entwicklung will die Regierung ihre Anstrengungen zur Förderung innovativer sicherheits- und verteidigungsrelevanter Technologien auf nationaler und europäischer Ebene erhöhen. So soll die Agentur für Innovation in der Cybersicherheit (Cyberagentur) unter der Leitung des BMVg und des BMI Deutschland zu eigener Technologie-Souveränität in der Cybersicherheit zu verhelfen. Aufgabe der Agentur ist es, „bahnbrechende Innovationen“ zu identifizieren und konkrete Aufträge für die Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten zu vergeben.

Eine wichtige Rolle beim Wissens- und Technologietransfer sollen überdies technologieorientierte Unternehmensgründungen spielen. Um neue Perspektiven und Lösungsansätze in globalen Fragen der zivilen und militärischen Sicherheit zu entwickeln, sei es notwendig, Kooperationen mit starken europäischen und internationalen Forschungs- und Technologiepartnern einzugehen. Die Bundesregierung will daher bestehende bi- und multilaterale Forschungsaktivitäten ausbauen. Bei der Auswahl der Forschungs- und Technologiepartner werde sie besonderes Augenmerk auf ihre sicherheits-und verteidigungspolitischen Belange legen.

Artikel 346 AEUV soll stärker genutzt werden

Die vom europäischen und nationalen Gesetzgeber eingeräumten Spielräume in der Anwendung der Ausnahmevor-schrift des Artikels 346 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sollen genutzt werden. Um dies im deutschen Vergaberecht zu konkretisieren, hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf  eingebracht, der „sicherheits- und verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien“ als möglichen Fall der Betroffenheit wesentlicher Sicherheitsinteressen nach Artikel 346 AEUV im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausdrücklich benennt.

Als weitere Maßnahme zur Beschleunigung von Vergabeverfahren im Bereich Verteidigung und Sicherheit enthalte der Entwurf eine Änderung von § 12 Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV). § 12 VSVgV gestattet in bestimmten Fällen ausnahmsweise die Vergabe von Aufträgen im Verhandlungs-verfahren ohne Teilnahmewettbewerb. Durch die Ergänzung von Regelbeispielen soll die praktische Handhabung von § 12 VSVgV vereinfacht werden.

Industrie soll früh eingebunden werden

Die Bundesregierung strebt, wo möglich, eine frühzeitige Einbindung der Industrie im Beschaffungsprozess an, um deren fachliche und technische Expertise stärker zu nutzen. Fragen der IT-Sicherheit und der Vertrauenswürdigkeit der verschiedenen Hersteller sollen auch in Vergabeverfahren verstärkt berücksichtigt werden.

Aufträge bei bi- und multinationalen Entwicklungen und Beschaffungen seien an industrieller Effizienz und Leistungsfähigkeit auszurichten, heißt es in dem Papier.  „Auf dieser Grundlage ist eine angemessene Teilhabe deutscher Unternehmen anzustreben.“  Bei der Beschaffung seien auch Aspekte der Instandhaltung beziehungsweise Instandsetzung über den gesamten Produktlebenszyklus zu berücksichtigen.

Unterstützung beim Export

Weiterhin kündigt die Bundesregierung in dem Dokument an, dass sie Exportaktivitäten in Deutschland ansässiger Unternehmen – insbesondere in EU- und NATO-Länder – nach Einzelfallprüfung über außenwirtschaftliche und „sonstige Instrumente“ unterstützen will. Das ist jedoch nichts Neues. So haben beispielsweise  Werften in der Vergangenheit bereits den Export von Schiffen mit so genannten Hermes-Deckungen des Bundes abgesichert.

„Die Koordinierung der Exportunterstützung wird zwischen den zuständigen Bundesministerien in einem permanenten Steuerungskreis stärker institutionalisiert“, heißt es im Strategiepapier. Dieser stehe gegenüber der Industrie als zentraler Ansprechpartner für Fragen der Exportunterstützung zur Verfügung.

Die Bundesregierung werde mit Partnerstaaten bilaterale Absprachen treffen oder Vereinbarungen abschließen, wenn dadurch die Chancen deutscher Unternehmen bei wichtigen ausländischen Beschaffungsvorhaben verbessert werden können und dies den außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands entspreche, kündigt die Bundesregierung an. Ein solcher Ansatz ist bereits beim Wettbewerb um ein neues Kampfflugzeug für die Schweiz zu erkennen, bei dem der Eurofighter von Airbus im Rennen ist. Hier hat die deutsche Seite entsprechende Angebote unterbreitet.

Auf europäischer und internationaler Ebene will sich die Bundesregierung überdies  für eine Einschränkung der im Bereich der Verteidigungsindustrie international üblichen Offset-Geschäfte einsetzen.

Digitale Souveränität angestrebt

Für den Erhalt sicherheits- und verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien in Deutschland und Europa sei ein effektiver Schutz vor sicherheitsgefährdender Einflussnahme seitens Drittstaaten notwendig, heißt es in dem Papier.  Dies stelle die Bundesregierung unter anderem durch Investitionsprüfungen nach dem Außenwirtschaftsgesetz und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) sicher.

Zur Erlangung einer digitalen Souveränität und Resilienz gegenüber hybriden Bedrohungen soll die Abhängigkeit von ausländischen Informationstechnologien reduziert werden. „Soweit die Souveränität bei heute bereits identifizierbaren, aber erst zukünftig in der Masse relevanten und produktiv eingesetzten Technologien gesichert werden muss, muss es möglich sein, einem Ausverkauf bereits in frühen Stadien entgegenzuwirken.“ Dies gelte insbesondere mit Blick auf Schlüsseltechnologien.

IT-Sicherheitsfonds soll entstehen

Dafür seien flexible und strategisch einsetzbare Instrumente als Antwort auf drohende Ausverkäufe zukünftiger sicherheits- und verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien notwendig. „Die Bundesregierung arbeitet an entsprechenden Ansätzen, dieses Ziel zu erreichen. Dazu soll insbesondere die Einrichtung eines IT-Sicherheitsfonds vorangetrieben werden, um aktiv unerwünschten Übernahmen begegnen zu können.“

Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV) begrüßt in einer Mitteilung nachdrücklich das heute verabschiedete Strategiepapier.   „Insbesondere die Kernaussage des Papiers, wonach unserer Industrie sowohl unter sicherheits- und verteidigungspolitischen als auch unter technologie- und industriepolitischen Aspekten eine strategische Bedeutung zukommt, ist in Zeiten zunehmender innerer wie äußerer Bedrohung ein wegweisendes Statement“, wird der Hauptgeschäftsführer des BDSV,  Hans Christoph Atzpodien, in der Mitteilung zitiert.

Die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie begrüße es, von der Bundesregierung explizit als eine Branche von nationalem und europäischem Interesse eingestuft zu werden und erwarte aufgrund des Strategiepapiers, dass die Bundesregierung die angekündigten Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die angesprochenen Unternehmen schnell und im Dialog mit der Industrie weiter konkretisiert und operationalisiert.

Auch begrüße es der Verband, dass die Bundesregierung aufgrund des Strategiepapiers den Dialog mit der Öffentlichkeit über die Erfordernisse der inneren und äußeren Sicherheit vertiefen will, so Atzpodien. „Auch in diesem zentralen Anliegen werden wir die Bundesregierung unterstützen.“

Gewerkschaft ruft zum Dialog auf

Positives Feedback kommt auch von Seiten der Gewerkschaft: Die IG Metall Küste begrüße die Entscheidung der Bundesregierung, den Marineschiffbau in Gänze als Schlüsseltechnologie einzustufen, heißt es in einer Pressemitteilung der Gewerkschaft. „Damit sind nationale Ausschreibungen künftig auch im Überwasserschiffbau möglich“, wird Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste, zitiert. „Wir hoffen, dass die Entscheidung nach der Vergabe des Mehrzweckkampfschiffes (MKS) 180, dem wichtigsten Marineprojekt für dieses Jahrzehnt, nicht zu spät kommt und ab sofort nach der neuen Maßgabe bei der Beschaffung gehandelt wird“, so Friedrich weiter.

Entscheidend sei jetzt, den vom Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) und der IG Metall Küste in der vergangenen Woche gemeinsam geforderten Zukunftsdialog Marineschiffbau zu starten.  Die Gewerkschaft sehe  die Bundesregierung in der politischen Verantwortung für die Branche und erwarte, dass diese Beschäftigten und Unternehmen verlässliche Perspektiven aufzeige, so IG Metall-Bezirksleiter Friedrich. „Wie die Ministerpräsidenten, Unternehmen und VSM warten wir dazu auf eine Einladung aus Berlin.“
lah/12.2.2020

 

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