Das erst vor rund dreieinhalb Jahren gegründete Technologieunternehmen Helsing hat am gestrigen Mittwoch im Rahmen des in München abgehaltenen ersten Helsing Media Day Einblicke in die Arbeit seines neuen Innovationsinkubators „Area 9“ gegeben. Dabei wurde auch ein „Sneak Peek“ in den Prototypen des KI-Agenten „Battlefield Intelligence“ gegeben, der eine Echtzeitauswertung fusionierter Bildaufklärungsdaten unterschiedlicher Quellen und Zeitpunkte ermöglichen soll.
Wie Antoine Bordes, Chefwissenschaftler bei Helsing und Verantwortlicher für den Innovationsinkubator, erläuterte, ist der Name Area 9 eine Hommage an die sogenannte Brodmann Area 9, ein Bereich im präfrontalen Kortex des Gehirns, der hauptsächlich für höhere kognitive Funktionen wie Arbeitsgedächtnis, exekutive Funktionen und Entscheidungsfindung verantwortlich ist. In dem Technologieunternehmen soll sich die Area 9 mit neuen Hard- sowie Software-Fähigkeiten befassen und eine ähnliche Rolle ausfüllen, wie es beispielsweise Skunk Works beim US-Rüstungskonzern Lockheed Martin oder Phantom Works bei Boeing einnimmt.
Bordes Ausführungen zufolge wurde die Area 9 erst Anfang des Jahres operationalisiert. Derzeit beschäftigen sich rund 30 Personen, die ausschließlich für diese Tätigkeit freigestellt sind, mit risikoreichen Innovationsvorhaben. Ziel sei es, das Team auf 40 bis 50 Personen auszubauen. Der „Chef-Tüftler“ machte zudem deutlich, dass das Team mit voller Absicht „groß“ denkt und sich mit risikobehafteten Themen beschäftig, bei denen von Beginn an klar ist, dass manche Vorhaben scheitern werden. Dabei erhalten Bordes und sein Team vollen Unterstützung durch die Unternehmensführung.
Wie Helsing-Mitgründer Gundbert Scherf vor Medienvertretern aus dem In- und Ausland verdeutlichte, hat das Unternehmen eine klare Entscheidung für die Initialisierung der Area 9 getroffen, um weiterhin eine „riskante Wette“ eingehen zu können. Die dort versammelten Entwickler sollen sich spezifisch auf futuristische Technologien und Idee konzentrieren, anstatt auf die Skalierung der aktuellen Produktpalette.
Eine Blaupause für die Arbeit der Area 9 stellt die Entwicklung des KI-Luftkampfagenten Centaur dar, der vor wenigen Wochen in Kooperation mit Saab erstmals in einer Live-Demonstration im europäischen Luftraum vorgeführt wurde, hartpunkt berichtete. Während der Testflüge am 28. Mai und 3. Juni über der Ostsee habe ein Gripen-E-Kampfjet die Kontrolle an Centaur übergeben. Im Fokus der Tests standen den Angaben von Helsing zufolge Centaurs Fähigkeiten im Luftkampf „Beyond-Visual-Range“ (BVR), also außerhalb der direkten Sichtlinie. Während der Testflüge überwachte ein menschlicher Pilot das Verhalten der KI ständig und konnte jederzeit die Kontrolle übernehmen. Ein zweiter, von einem Piloten gesteuerter Gripen befand sich Helsing zufolge in der Luft, um Centaurs Gegenspieler zu repräsentieren. Die Entwicklung dieser Fähigkeit haben nach Aussage von Bordes gerade einmal sechs Monate gedauert, danach sei Centaur in der Lage gewesen, menschliche Piloten in Simulationen im BVR-Luftkampf zu besiegen. Dies war im Sommer 2024. Danach wurde das Produkt weiter verbessert und innerhalb weniger Monate die Testkampagne mit Saab vereinbart und realisiert. Diese Art der Fähigkeit sei in Europa so noch durch niemanden im Flug gezeigt worden, führte Bordes bei der Präsentation von Centaur aus.
Die Area 9 soll die vorexerzierte Arbeitsweise bei Centaur nun auf andere Bereiche – inklusive der Kooperation mit anderen Partnern – ausweiten. An wie vielen Projekten Area 9 derzeit arbeitet, wollte Bordes nicht sagen, er zeige jedoch einen Einblick in einen Prototyp, an dem sein Team derzeit arbeitet. Dabei handelt es sich um einen „Battlefield Intelligence“ genannten KI-Agenten.
Die Idee hinter Battlefield Intelligence ist es im Grunde, die Zeitdauer der Auswertung von Bild-Aufklärungsergebnissen von mehreren Stunden auf wenige Sekunden zu verkürzen. Wenn ein militärischer Führer einer höheren Führungsebene bestimmte Aufklärungsergebnisse haben will, müssen diese beispielsweise nicht nur anhand von Satellitenbildern – Bild oder Radar (Synthetic Aperture Radar, SAR) – und Drohnenüberflügen generiert, sondern auch durch speziell geschultes Personal ausgewertet werden. Dabei werden unterschiedliche Bilder sorgfältig betrachtet und gegebenenfalls mit anderen Bildauswertungen verglichen. Dieser Prozess kann für eine einfache Fragestellung – beispielsweise: „sind neue Fahrspuren erkennbar“ – mehrere Stunden dauern. Battlefield Intelligence soll solche Fragen fast in Echtzeit beantworten können.
Dazu wurde auch eine Demo des Prototyps vorgeführt. Als Datenquellen für Battlefield Intelligence diente ein Satelliten-Kamerabild eines Übungsplatzes, ergänzt durch eine SAR-Satellitenbild und ein Video eines Drohnenüberflugs, welcher jedoch nur einen Teil des Übungsplatzes abdeckte. Alle drei Datenquellen wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten erzeugt. Battlefield Intelligence wurde in der Demo von Bordes mittels eines Textbefehls angewiesen, ihm alle zerstörten Gebäude in dem Aufklärungsraum zu zeigen. Das Ergebnis der Anfrage waren null Gebäude. In einem zweiten Schritt wurden weitere Drohnenüberflüge als Datenquellen für den KI-Agenten zur Verfügung gestellt. Auf die erneute Anweisung wurden dann auch zerstörte Strukturen entdeckt und auf der hinterlegten Digitalkarte angezeigt. Auf Anfrage von Bordes wurden zudem alle im Raum aufgeklärten Fahrspuren angezeigt und gemäß den Kategorien Rad und Kette klassifiziert.
Bei der Vorstellung wies der Wissenschaftler darauf hin, dass es sich lediglich um einen Prototyp handelt, der vielleicht nie den Produktstatus erreichen wird. Gleichwohl war das Potenzial der gezeigten Technologie für jeden, der sich mit den aktuellen Prozessen der Luftbildauswertung auskennt, sofort erkennbar. Insbesondere auf operativer Führungsebene würde eine solche „echtzeitnahe“ Analysefähigkeit von Roh-Aufklärungsdaten (von denen es immer mehr gibt) einen greifbaren Mehrwert schaffen.
Waldemar Geiger