Mit dem Korsak beabsichtigt die Bundeswehr, rund 15 Jahre nach der Außerdienststellung des Spähpanzers 2 Luchs nun wieder ein durchsetzungsstarkes Spähfahrzeug in die Heeresaufklärungstruppe einzuführen, der Wettbewerb für das Fahrzeug ist vor kurzem in die finale Phase gegangen. Als gepanzertes, radbasiertes Fahrzeug soll der im Rahmen des Vorhabens Spähfahrzeug Next Generation zu beschaffende Korsak durch hohe taktische Mobilität (inkl. Schwimmfähigkeit), umfassende Ausstattung mit Kommunikations-/Informationssystemen und Navigationsmitteln sowie Mitteln der Durchsetzungs- und Durchhaltefähigkeit die Überlebensfähigkeit der Heeresaufklärungstruppe in der „Area of Itelligence Responsibility“ sicherstellen.
Gut informierten Kreisen zufolge wurden bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung für den Korsak sowohl Erfahrungen mit dem Spähpanzer 2 Luchs als auch dem leichten Spähwagen Fennek berücksichtigt. Die Forderungen wurden demnach so konzipiert, dass das zukünftige Spähfahrzeug im Rahmen von IKM-Einsätzen (Internationales Krisenmanagement) bestehen kann und auch für Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) geeignet ist. Auch der technologische Fortschritt wurden Insidern zufolge berücksichtigt. Der geforderte Aufklärungs-Rüstsatz werde der „modernste sein, den es gibt“, so ein Insider. Es wurde alles zusammengefasst und vernetzt, was der Markt hergibt und anbietet. Soweit die Theorie zur geforderten Leistungsfähigkeit des zukünftigen Spähfahrzeuges der Heeresaufklärungstruppe. Die Zeit wird zeigen, inwieweit der in die Truppe zulaufende Korsak auch in der Praxis überzeugen wird, denn es gibt auch Kritik. Weniger an der tatsächlich geforderten Leistungsfähigkeit des Spähfahrzeuges – die eh nur einem vergleichsweise kleinen Kreis aus Soldaten bzw. Beamten der Bundeswehr und Industrievertretern bekannt ist – als vielmehr an dem Konzept der fahrzeuggebundenen Spähaufklärung im Hinblick auf die wahrscheinliche Charakteristik eines Gefechtsfeldes der Zukunft.
Sehr oft werden in diesem Zusammenhang Erkenntnisse aus dem Ukraine-Krieg aufgeführt, welche belegen sollen, dass eine fahrzeuggebundene Spähaufklärung tief im feindlichen Territorium einem Himmelfahrtskommando gleichkommen soll. So wird beispielsweise darauf verwiesen, dass ein mittels eines Masseneinsatzes von Aufklärungsdrohnen geschaffenes, mehrere Kilometer tiefes und über den gesamten Frontverlauf aufgespanntes gläsernes Gefechtsfeld den Einsatz von fahrzeuggebundener Spähaufklärung obsolet werden lässt oder sogar gänzlich unmöglich macht. Sich auf dem Gefechtsfeld bewegende Fahrzeuge werden umgehend erkannt und bekämpft, so die These der Kritiker. Zudem können Drohnen bei Bedarf auch tiefer im feindlichen Hinterland aufklären, ohne dass die eigenen Kräfte gefährdet werden müssten.
Ob eine solche Kritik berechtigt ist oder nicht, kann nur ein Blick in die nichtvorhandene Kristallkugel offenbaren. Den Ukraine-Krieg als einziges Argument dafür aufzuführen, dass fahrzeuggebundene Spähaufklärung ein Relikt früherer Kriege ist, greift auf jeden Fall zu kurz. Zum einen zeigt die aktuell laufende Kursk-Offensive der ukrainischen Truppen, dass es weiterhin möglich ist größere Kräfteverbände weitgehend unbemerkt zusammenzuziehen und mit Aufklärung voraus überraschend einzusetzen. Zum anderen gibt es genügend kriegsgeschichtlicher Beispiele, wonach „totgesagte“ Fähigkeiten weiterhin hohe Bedeutung für die Kriegsführung hatten. So wurde die berittene Spähaufklärung im Stellungskrieg des 1. Weltkrieges schon einmal als überflüssig angesehen und die Zukunft in der luftgestützten Spähaufklärung verortet. Gleichwohl genoss die „berittene“ Spähaufklärung bis in die heutige Zeit eine weiterhin hohe Bedeutung, nur eben nicht mehr pferdegestützt, sondern fahrzeuggebunden.
Daseinsberechtigung der fahrzeuggebundenen Spähaufklärung
Im Gegensatz zur Gefechtsaufklärung, welche auf Bataillonsebene eingesetzt und in fahrzeuggestützter Variante mittels Gefechtsfahrzeugen wie Schützen- und oder Kampfpanzern durchgeführt wird, ist die Spähaufklärung eine Fähigkeit, die erst ab der Ebene Brigade aufwärts zur Verfügung steht. Entgegen der Gefechtsaufklärung der Kampftruppe erfolgt die Spähaufklärung ausschließlich durch Kräfte der Heeresaufklärungstruppe und wird dementsprechend anhand anderer Einsatzgrundsätze durchgeführt. Mit einer Aufklärungstiefe von bis zu 75 km (Brigade), 150 km (Division) und 300+ km (Korps) operiert die Spähaufklärung zudem deutlich tiefer im feindlichen Hinterland als Spähtrupps der Kampftruppe, welche üblicherweise 8 bis15 km vor den eigenen Kräften aufklären.
Genau an diesem Punkt greift der Verweis auf das gläserne Gefechtsfeld zu kurz. Eine mehrere hundert Kilometer lange Front auf einer Breite von mehreren Kilometern durchgehend mit Aufklärungsdrohnen zu überwachen ist für sich genommen schon eine Leistung, die differenziert betrachtet werden muss. Zum einen kann davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Aufklärungsleistung und -dichte von Frontabschnitt zu Frontabschnitt variiert. Weiterhin ist zu bedenken, dass je nach System einzelne Drohnen durchaus in der Lage sind, mehrere Quadratkilometer abzudecken. In der Praxis wird daher nicht permanent eine große Anzahl leistungsfähiger Aufklärungsdrohnen gleichzeitig im selben Raum operieren. In einem solchen Szenario kann also die Bekämpfung einzelner Drohnen empfindliche Lücken in das sogenannte gläserne Gefechtsfeld schlagen. Zudem darf davon ausgegangen werden, dass die Fähigkeiten einer zukünftigen Bundeswehr auf dem Feld der Drohnenabwehr signifikant zunehmen werden, so dass das „Reißen“ einer solchen Lücke keine reine Theorie darstellt, sondern auch praktisch möglich wäre. Keiner kann heute mit Gewissheit sagen, wie tief beispielsweise der russische Drohnenaufklärungsschirm über das eigene kontrollierte Gefechtsfeld reicht. Der Fokus wird üblicherweise nicht in der Überwachung des eigenen, sondern des feindlichen Territoriums liegen. Berichte über der Drohneneinsatz der ukrainischen Streitkräfte deuten darauf hin, dass etwa 1/3 der eigenen Drohnen über dem eigenen Territorium eingesetzt werden, um beispielsweise Lücken zu überwachen oder die Tarnung der eigenen Truppe zu überprüfen.
Zudem kann davon ausgegangen werden, dass die Aufklärungsfähigkeit mit dem Abstand zur Front abnimmt. Wenn man für ein hypothetisches Beispiel davon ausgeht, dass die aktuelle Drohnenflotte ausreichend groß ist, um rund 5 km Tiefe abzudecken, müsste diese verdoppelt werden, um den überwachten Frontabschnitt um 5 weitere Kilometer auszudehnen. Dies würde bedeuten, dass achtmal so viele Drohnen notwendig wären, um den eigenen Raum 40 km tief zu überblicken. Bei 80 km wären 16-mal mehr Aufklärungsdrohnen (immer bei angenommener homogener Aufklärungsleistung) notwendig, bei 160 km wären es dann 32-mal mehr Systeme.
Selbst wenn ein möglicher Feind aus Sorge vor Spähaufklärung den Entschluss fassen sollte, sein eigenes Territorium bis in diese Tiefe engmaschig mit Aufklärungsdrohnen zu überwachen, hätte die Spähaufklärung einen wichtigen Beitrag zum Gelingen der eigenen Operationen beigetragen, weil sie so einen großen Teil der feindlichen Mittel und Kräfte gebunden hätte. Diese Kräfte und Mittel stehen dem Feind dann nämlich nicht für den eigentlichen Fronteinsatz zur Verfügung.
In einem nächsten Schritt muss bedacht werden, dass das Gläserne Gefechtsfeld nicht permanent existiert bzw. nicht permanent in der gleichen Qualität existiert, sondern abhängig vom Wetter und der Tages- bzw. Nachtzeit variiert, da nicht alle Drohnen in jedem Wetter und zu jeder Tageszeit fliegen bzw. sehen können. Hier bilden sich also auch noch natürliche Lücken, die von der Spähaufklärung für ein „Durchschlüpfen“ bzw. „Durchbrechen“ genutzt werden können. Und genau hier setzen die Einsatzgrundsätze der Aufklärungstruppe ein, deren Erfolg und Überlebensfähigkeit maßgeblich von der Überlegenheit der eigenen Sensorik – nicht nur auf dem Feld der Optronik – abhängig ist. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen und sich ausschließlich auf die Informationen stützend, die die Bundeswehr selbst auf der eigenen Webseite öffentlich bereithält, kann man sagen, dass Spähaufklärung vordringlich in der Nacht und bei schlechtem Wetter bewegt und am Tag unterzieht. Zudem wird der Infiltrationsweg in den Aufklärungsraum so gewählt, dass das Risiko auf feindliche Kräfte zu begegnen bzw. selbst aufgeklärt zu werden am geringsten ist. Wenn notwendig, kann dafür auch der feindliche Fokus punktuell auf einen anderen Raum „gelenkt“ werden. Genau deswegen wird auch eine sehr hohe Anforderung an die Mobilität, inklusive der Schwimmfähigkeit, von Spähfahrzeugen gestellt.
Ist das gläserne Gefechtsfeld erstmal überwunden, kann die Spähaufklärung das tun, wofür sie da ist. Im Gegensatz zu einer reinen Drohnenaufklärung können die Spähtrupps bei jedem Wetter und über einen langen Zeitraum signaturarm – damit ist auch das elektromagnetische Spektrum gemeint – im Einsatzraum verbleiben, die feindliche Sicherungslinie muss dafür nur einmal durchbrochen werden, während die Drohnen alle paar Stunden immer wieder aufs Neue über die feindliche Sicherung hinwegfliegen müssen. Zudem können die Trupps bei Bedarf selbst eigene unbemannte Aufklärungssysteme zum Einsatz bringen. So können nicht nur Aufklärungsergebnisse aus der Vogelperspektive, sondern auch aus der bodennahen Perspektive gewonnen werden. Im Gegensatz zur reinen luftgestützten Aufklärung ist die fahrzeuggebundene Spähaufklärung, abgestützt auf den umfangreichen Sensormix und die mitgeführten zusätzlichen Aufklärungsmittel, im wahrsten Sinne des Wortes ein Multi-Domain-Asset. Nicht unerheblich ist zudem die Fähigkeit mittels Sprache aufklären zu können, wenn es die Lage erfordert.
Die Durchsetzungsfähigkeit der für diesen Auftrag zur Verfügung stehenden Spähfahrzeuge – zu der neben der eigenen Bordbewaffnung auch die Befähigung zum Einsatz von weitreichenden Wirkmitteln der Streitkräftegemeinsamen Taktischen Feuerunterstützung gehört – erlaubt es den Kräften zudem, aufgeklärte Ziele unmittelbar angreifen zu können. Dies auch bei jedem Wetter und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Eine solche Fähigkeit können Drohnen nicht bieten, schon gar nicht, wenn diese günstig sein sollen.
Hier ist jetzt nur ein mögliches Einsatzszenario beschrieben. Die Historie des Ukraine-Krieges bietet hingegen weitere Beispiele für die Daseinsberechtigung einer fahrzeuggebundenen Spähaufklärung. Auch wenn die gescheiterte Sommeroffensive 2023 der Ukraine und die im Anschluss erfolgte Offensive Russlands weniger tauglich erscheinen, um den Bedarf für eine durchsetzungsstarke Spähaufklärung argumentativ zu unterstützen, sind es nicht die einzigen Offensiven des aktuellen Ukraine-Krieges. In den früheren Phasen des Krieges wurde das Gefecht deutlich mobiler geführt. Sowohl in der „Chaos-Phase“ der anfänglichen Tage der russischen Invasion als auch in Herbstoffensiven 2022 der Ukraine sowie dem derzeit laufenden Vorstoß ukrainischer Kräfte in die russische Oblast Kurs finden sich genügend Beispiele für die Notwendigkeit einer fahrzeuggebundenen Spähaufklärung, wie es der Korsak leisten soll.
Nach der anfangs sehr mobilen Gefechtsführung wird der Krieg seit Winter 2022 auf 2023 – auch aufgrund des massiven Ausbaus von Verteidigungslinien – deutlich statischer geführt, demensprechend sinkt natürlich auch der Einsatzwert der Spähaufklärung. Nichtsdestotrotz muss bedacht werden, dass eine statische Situation nur bis zum Zeitpunkt eines Durchbruchs statisch bleibt und danach wieder deutlich dynamischer werden kann, wie man anhand der aktuellen Ereignisse (Kursk) deutlich sehen kann. In diesem Fall steigt auch der Einsatzwert der Spähaufklärung entsprechend. Zu beachten ist auch, dass allein der Umstand einer vergleichsweise statischen Kriegsführung im Ukraine-Krieg von 2023 bis 2024 nicht automatisch bedeutet, dass jeder zukünftige Krieg genauso ablaufen wird.
Unbeachtet dessen werden mit durchsetzungsstarken Spähfahrzeugen ausgestattete Aufklärungsverbände wieder die Möglichkeit eröffnen, bei Bedarf ein zusätzliches Manöverelement zur Wahrnehmung unterschiedlichster Aufgaben – beispielsweise als Frontfeuerwehr, Reserve, Übernahme von Raumverantwortung – auf Brigadeebene bilden zu können. Gleichwohl wird der bloße Austausch von Fennek durch Korsak nicht ausreichen, um diese Fähigkeit adäquat abbilden zu können. Die Anpassung der Ausbildung und der Einsatzdoktrinen sowie die Ausstattung des Korsak mit zusätzlichen Wirkmitteln – wie Beispielsweise weitreichenden Panzerabwehrfähigkeiten – wären dafür ebenfalls notwendig.
Fazit
Alles in allem hat die fahrzeuggebundene Spähaufklärung eine Daseinsberechtigung auf dem modernen Gefechtsfeld und wird diese mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch zukünftig haben. Die Fähigkeit trägt maßgeblich zum Einsatzerfolg bei und bildet einen Grundstein für das Gefecht der verbundenen Waffen. Gleichwohl müssen die dafür notwendigen Spähfahrzeuge über eine überlegene Sensorik und Mobilität verfügen und diese auch über die komplette Nutzungszeit überlegen halten. Zudem muss die Integration des sogenannten Aufklärungs- und Wirkungsverbund weiter vorangetrieben werden, welcher sich durch eine zunehmende Integration von Heeresaufklärungstruppe, den Kräften der elektronischen Kampfführung und der Artillerietruppe auszeichnet. Nur so kann das volle Potenzial dieser sich ergänzenden Fähigkeiten entfaltet werden, denn bereits Aristoteles wusste: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“.
Waldemar Geiger