Die Bundeswehr will für die Ausstattung der Grenadiere der neu aufgestellten Kräftekategorie „Mittlere Kräfte“ noch in diesem Jahr von KNDS Deutschland entwickelte Boxer-Radschützenpanzer samt zusätzlicher Serviceleistungen und Ausrüstung mit einem Gesamtwert von rund 3,9 Milliarden Euro beschaffen. Dies geht aus dem aktuellen Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das laufende Jahr 2025 hervor, der hartpunkt vorliegt.
Aus dem Haushaltsentwurf ist zudem ersichtlich, dass rund 1,1 Milliarden Euro des Vorhabens „Radpanzer mittlere Kräfte“ noch in diesem Jahr abfließen sollen. Beobachter gehen davon aus, dass es sich dabei um eine Vorauszahlung handeln könnte, mit der die Industrie neue Produktionskapazitäten aufbauen soll. Für die Jahre 2026 bis 2028 einschließlich sind Verpflichtungsermächtigungen in einer Gesamtsumme von rund 150 Millionen vorgesehen, erst ab 2029 sollen wieder größere Summen abfließen, was darauf hindeuten könnte, dass die Serienfahrzeuge des Radschützenpanzers erst ab 2029 verfügbar sein werden. Gut informierte Kreise gehen davon aus, dass die Billigung einer entsprechenden 25-Mio-Vorlage noch vor der Sommerpause des Parlaments erfolgen könnte.
Die Anzahl der zu beschaffenden Systeme geht aus dem Entwurf nicht hervor, gleichwohl hat das Deutsche Heer in den vergangenen Jahren einen Bedarf von 148 Radschützenpanzern hat.
Wie hartpunkt bereits Anfang Februar 2024 berichtete, wird die Realisierung des Vorhabens über die europäische Rüstungsagentur OCCAR erfolgen. Die dadurch realisierbaren größeren Stückzahlen könnten den Fahrzeugpreis senken und die Interoperabilität steigern. Neben Deutschland will offenbar auch die Niederlande 72 Radschützenpanzer erwerben, hartpunkt berichtete.
Boxer RCT30
Der Boxer RCT30 von KNDS Deutschland kombiniert das in der Bundeswehr einsatzbewährte Boxer-Fahrmodul mit einem Maschinenkanonen-Missionsmodul mit dem aus dem Schützenpanzer Puma bekannten unbemanntem Turm vom Typ RCT30. Die Bewaffnung des Systems besteht aus einer stabilisierten MK 30-2/ABM-Maschinenkanone im Kaliber x 173 mm von Rheinmetall, die eine zielgenaue Bekämpfung von fahrenden Zielen aus dem Stand und aus der Fahrt ermöglicht. Im Licht der zunehmenden Drohnenbedrohung und der damit notwenigen Drohnenabwehr, welche damit befassten Experten zufolge mehrschichtig aufgebaut sein muss, hat KNDS Deutschland den RCT30 weiterentwickelt, so dass dieser einen signifikanten Beitrag zum Selbstschutz des Fahrzeuges und der im Umkreis befindlichen Soldaten vor Kleinstdrohnen beitragen kann, hartpunkt berichtete.
Die Panzerabwehrfähigkeit erfolgt mittels eines an der linken Turmseite angebrachten Werfers mit zwei Panzerabwehrlenkflugkörpern vom Typ MELLS (Spike LR/Spike LR2).
Gut unterrichteten Kreisen zufolge wird der neue Radschützenpanzer einige kleinere und größere Neuerungen für die Bundeswehr und die Grenadiertruppe enthalten. So scheinen sich die Boxer-Nutzernationen zur Vereinfachung der Logistik und Produktion auf einen neuen gemeinsamen Standard für das Boxer-Fahrmodul geeinigt zu haben. Der zukünftige Radschützenpanzer wird das erste Boxerfahrzeug der Bundeswehr sein, das auf dem sogenannten Future Common Drive Module aufgebaut wird. Wesensmerkmal des neuen Standard-Fahrmoduls, welches sehr stark an die UK-Variante angelehnt sein soll, wird die maximale Traglast von 40 Tonnen sein. Ursächlich für die höhere Nutzlast sind neue Reifen sowie Änderungen am Fahrwerk. Zudem wird es leichte Änderungen bei der Wanne geben, welche zukünftig über eine 6-Punkt-Lagerung für die Missionsmodule verfügen wird. Das derzeitige Boxer-Fahrmodul der Bundeswehr nutzt eine 4-Punkt-Lagerung. Es wird jedoch eine Abwärtskompatibilität geben, so dass das neue Fahrmodul auch Bestands-Missionsmodule aufnehmen kann.
Interessant in diesem Zusammenhang ist der Punkt, dass die Fahrmodule generell so ausgelegt sind, dass sie unterschiedliche MTU-Triebwerke – sowohl den „klassischen“ MTU-Dieselmotor 8V 199 TE20 mit 530 kW Leistung als auch den aus dem britischen Boxerprogramm stammenden MTU-Dieselmotor 8V 199 TS21 mit 600 kW Leistung – aufnehmen können. Die Interoperabilität geht soweit, dass im Gefecht sogar ein defektes TE20-Triebwerk gezogen und unverzüglich durch ein TS21-Triebwerk ersetzt werden könnte.

Auch zum Thema Missionsmodul des Radschützenpanzers, bekannt unter dem Namen „PuBo“ (Puma Boxer), gab es in Paris einige interessante Details zu erfahren.
Absicht der deutschen Streitkräfte ist es offensichtlich, den Schützenpanzer in einem dem modernsten Puma vergleichbaren Entwicklungsstand zu beschaffen. Deshalb wird das Fahrzeug über ein leistungsstärkeres Softkill-Aktivschutzsystem MUSS 2.0 verfügen (abgebildet ist ein Fahrzeug mit der älteren MUSS-Variante mit einer deutlich größeren Signatur). Zudem wird es wohl ein aus dem Schützenpanzer bekanntes 360-Grad-Sichtsystem geben. Unklar ist hingegen, ob der Radschützenpanzer eine TSWA-Sekundärbewaffnung erhalten wird. Gefordert werden aber wohl zwei Heckluken.
Dem Vernehmen nach wird der „Puma Rad“, wie ihn einige Beobachter mit mit Augenzwinkern bezeichnen – über einen Kampfraum mit einem dem Schützenpanzer Puma ähnlichen Raumvolumen verfügen. Das erlaubt es, dass die gesamte eingeführte Gruppenausrüstung in dem neuen Gefechtsfahrzeug Platz finden wird. Im Gegensatz zum Puma wird der Radschützenpanzer aber über einen etwas engeren, dafür aber höheren Kampfraum verfügen. Damit wird es keine aus dem Schützenpanzer Puma bekannte Größeneinschränkung der Besatzung geben, so dass es weiterhin Verwendungsmöglichkeiten für Grenadiere mit preußischem Gardemaß innerhalb der Truppengattung geben wird.
Eine weitere „maßgebliche“ Kampfwertsteigerung gegenüber dem Schützenpanzer Puma wird eine integrierte Möglichkeit des Toilettenganges geben. Dem Vernehmen nach soll dazu einer der sechs Kampfraumsitze als „Klositz“ ausgelegt sein, wie er beim UK-MIV-Boxer bereits realisiert wurde. Dabei handelt es sich im Grunde um einen „normalen“ Sitz mit einem Loch in der Sitzfläche, wo ein entsprechender Chemietoilettenbeutel angebracht werden kann, um im Falle des Falles eine Notdurft – die Betonung liegt auf dem Wortteil Not – verrichten zu können.
Waldemar Geiger