Anzeige

Trotz Kraftaktes voraussichtlich keine Vollausstattung erreichbar

Anzeige

Bei der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) der NATO im Jahr 2023 wird das Deutsche Heer erneut  die Führung übernehmen. Anders als bei den beiden bisherigen Einsätzen im Rahmen der „NATO-Speerspitze“ sollten nicht erneut zahlreiche Einheiten der Teilstreitkraft nach dem benötigten Material für das deutsche VJTF-Kontingent durchkämmt werden. Das zumindest war das Ziel von Heeresführung und Verteidigungsministerium für die anstehende Verpflichtung.  Eine voll ausgestattete Brigade sollte „aus sich heraus“ ohne Technik und Ausrüstung aus anderen Truppeneinheiten die Aufgabe übernehmen. Dieses Ziel wird jedoch offenbar noch nicht vollständig erreicht, wie das Heer einräumt.

„Trotz aller rüstungsseitigen Bemühungen konnten nicht alle Bedarfe vollumfänglich gedeckt werden, so dass teilweise Material aus anderen Verbänden beigesteuert, beziehungsweise das eigentlich geforderte Gerät durch Alternativsysteme ersetzt werden muss“, teilte das Kommando Heer auf Anfrage mit. Dies bedeute einige Kraftanstrengungen und könne zu Einschränkungen an anderer Stelle führen. Weitere Details wurden nicht genannt.  Wie aus gut informierten Kreisen zu vernehmen ist, bestehen unter anderem bei geschützten Fahrzeugen Deckungslücken. So sollen offenbar statt den eigentlich eingeplanten gepanzerten Radfahrzeugen der Typen Eagle oder Enok  geländegängige VW-Busse, Bezeichnung Widder, sowie so genannte Greenliner wie der Nissan Patrol zum Einsatz kommen. Nach Angaben der Verteidigungsministeriums wurden im vergangenen Jahr Verträge im Volumen von 6,2 Mrd EUR für die an der VJTF beteiligten Teilstreitkräfte kontrahiert.

Anzeige

Die Ausstattung der deutschen VJTF-Kräfte erfolgt unter Berücksichtigung des „Plans Heer“, in dem die materielle Ausstattung der Teilstreitkraft bis in die kommende Dekade festgelegt ist.  In dem Plan wird als erster  wichtiger Schritt die Vollausstattung der Panzergrenadierbrigade 37 als Kern der NATO Standby Forces 2023 definiert. Nach Aussage des Heeres gilt es, beginnend ab 2021 die Ausbildung für diese Kräfte sicherzustellen, damit die Verbände bruchfrei und entsprechend ausgestattet für die so genannte Stand-Up-Phase ab 2022 zur Verfügung stehen.

Anzeige

Das hierzu erforderliche Großgerät –  das heißt neu zu rüstendes Material und Bestandssysteme –  wurde ermittelt und in einem umfangreichen Prozess abgestimmt. Darin seien allein rund 1.800 Fahrzeuge enthalten, teilte eine Sprecherin des Heeres mit. Trotz der beschriebenen Lücken werde das Heer seinen Auftrag zur Aufstellung der VJTF (L) 2023 in bewährter Manier erfüllen. Die  Kräfte sollen mit dem besten zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Gerät ausgestattet sein.

Neue Aufklärungsmittel laufen zu 

Tatsächlich dürfte die Fokussierung auf die Erfüllung des deutschen NATO-Beitrags 2023 in den vergangenen Jahren eine Reihe von Rüstungsprojekten beschleunigt und zur Vertragsreife gebracht haben. Davon profitiert nun die Panzergrenadierbrigade 37, die  gemäß Planung eine Reihe von neuen Fähigkeiten erhält. Nach Auskunft des Heereskommandos werden beispielsweise im Bereich der abbildenden Lage-, Ziel- und Wirkungsaufklärung in mittlerer Reichweite zwölf Systeme LUNA NG – auch als HUSAR bezeichnet –  zur Verfügung stehen. HUSAR sei technisch auf dem neuesten Stand und ersetze das Kleinfluggerät Zielortung (KZO) und die Luftgestützte Unbemannte Nahaufklärungs-Ausstattung (LUNA), die beide in absehbarer Zeit ihr Nutzungsdauerende erreichen.

Zur abstandsfähigen Aufklärung sollen zunächst 18 so genannte „Bodengebundene Aufklärungs- und Raumüberwachungssystem“ (BARÜ) ab 2022 beschafft werden, so dass die Altsysteme ABRA und PARA abgelöst werden können. Bei ABRA handelt es sich um ein in den 70er Jahren eingeführtes Artillerieradar auf MTW-Basis und bei PARA um ein auf dem Transportpanzer Fuchs montiertes Aufklärungsradar. Während ABRA für die Artillerie entwickelt wurde, erhielten die Panzeraufklärer PARA. Dem Vernehmen nach existiert bereits seit einigen Jahren eine so genannte FFF für BARÜ. Allerdings wurde der Beschaffungsprozess erst Mitte Januar dieses Jahres mit der Veröffentlichung eines Tenders eingeleitet. So will das Bundeswehr-Beschaffungsamt BAAINBw laut Ausschreibungstext insgesamt 69 Radarüberwachungsgeräte vom Typ BARÜ für die Heeresaufklärungstruppe sowie die Artillerietruppe erwerben. Der Beginn der Einführung wird in der Ausschreibung auf Januar 2022 festgelegt, der  Abschluss auf Januar 2024.

Die VJTF-Panzergrenadierbrigade wird darüber hinaus mit den modernsten Gefechtsfahrzeugen der Bundeswehr bestückt. Die Flotte der Kampfpanzer Leopard 2 wird laut Planungen bis 2024 auf insgesamt 320 Systeme aufwachsen –  rund die Hälfte davon in den modernen Versionen A6(M)A3 beziehungsweise A7V. „Für die VJTF 2023 sind dabei die modernsten A7V vorgesehen, deren Auslieferung 2021 mit rund 30 Systemen beginnen wird“, so die Sprecherin des Heeres. Gut informierten Kreisen zufolge werden die Panzer voraussichtlich nicht wie ursprünglich vorgesehen mit dem abstandsaktiven Schutzsystem Trophy der israelischen Firma Rafael ausgestattet. Dem Vernehmen nach soll dafür noch kein Serienvertrag vorliegen.

Neue LKW sind bestellt

Vom Schützenpanzer Puma in der modernsten Version „VJTF“ sollen analog zum Leopard 2 A7V insgesamt 41 Fahrzeuge ausgeliefert werden und  für die VJTF zur Verfügung stehen. Entsprechende 25-Mio-Vorlagen wurden bereits im vergangenen Jahr im Bundestag gebilligt. Dem Vernehmen nach werden mit den Panzern und Schützenpanzern jeweils zwei Kampfkompanien ausgestattet. Da eine solche Kompanie in der Regel 14 Fahrzeuge umfasst, dürften die darüber hinaus gehenden Panzer als Reserve dienen.

Zur Verbesserung der taktischen Mobilität der Truppe werden derzeit die großen Transportfahrzeuge ersetzt.  Die hoch geländegängigen LKW 5 Tonnen, 7 Tonnen, 10 Tonnen und 15 Tonnen, die ab den 70er Jahren eingeführt wurden und sich bewährt haben, sind mittlerweile in die Jahre gekommen. Bis Ende 2021 sollen insgesamt über 1.000 LKW 5 Tonnen und 15 Tonnen zulaufen. Darüber hinaus sei bis 2022 die Beschaffung von rund 300 weiteren LKW zum Containertransport vorgesehen. „Rund die Hälfte davon läuft unmittelbar dem VJTF-Verband zu, sodass ein guter Ausstattungsgrad mit modernen Transportfahrzeugen erreicht werden wird“, teilt das Heer mit. Dem Vernehmen nach, sind 200 LKW 5 Tonnen sowie 150 LKW 15 Tonnen für den Heeres-Einsatz im Rahmen der VJTF vorgesehen.

Sofern es zu keinen Verzögerungen bei der Auslieferung des neuen Kampfbekleidungssatzes Streitkräfte komme, sollen auch alle Soldatinnen und Soldaten der VJTF (L) 2023 damit ausgestattet werden, erläuterte die Sprecherin. Bei der VJTF 2019 ist es laut BMVg zu Engpässen bei Kampf- und Schutzbekleidung  gekommen. Darüber hinaus werde das neue Battle Management System (BMS) zur Verbesserung der Führungsfähigkeit genutzt. Hier war Ende des vergangenen Jahres die dänische Firma Systematic mit der Lieferung des BMS Sitaware beauftragt worden. Parallel dazu müssen auch neue Kommunikationsserver in viele Fahrzeuge eingerüstet werden, um mit der vorhandenen Funktechnik die BMS-Software nutzen zu können.

Qualifizierte Fliegerabwehr gegen Drohnen

Nach der Abschaffung der Heeresflugabwehr wird erstmals die so genannte qualifizierte Fliegerabwehr als neue Fähigkeit bei der VJTF berücksichtigt. Hier hatte sich im vergangenen Jahr der norwegische Rüstungskonzern Kongsberg mit einer Lösung im Wettbewerb durchgesetzt, die ein Hensoldt-Radar beinhaltet. Die qualifizierte Fliegerabwehr soll die mobilen Teile des Heeres in die Lage versetzen, insbesondere kleine Drohnen zu bekämpfen. Gerade diese Drohnen werden vermehrt zur Artillerieaufklärung eingesetzt und stellen damit eine unmittelbare Gefahr für die Truppe dar. Die Herausforderung besteht industrieseitig jetzt darin, das Waffensystem in kurzer Zeit in den Radpanzer Boxer als Trägerplattform zu integrieren.

Wie es aus gut informierten Kreisen heißt, soll auch die Beschaffung einer neuen gepanzerten Pioniermaschine als Ersatz für den Bergepanzer Dachs im Rahmen des VJTF-Bedarfs forciert worden sein. Formal wurde die Ausschreibung dafür im November 2019 gestartet. Hier dürften mindestens Rheinmetall mit dem Kodiak und FFG mit dem Wisent 2 im Wettbewerb sein.  Als VJTF-relevant werden offenbar auch die Einführung eines LKW-Wechselladesystems und weiterer Gefechtsfeldbrücken eingestuft, die den Planungen zufolge offenbar noch in der ersten Jahreshälfte beauftragt werden sollen.

„Deutschland hat sich gegenüber der NATO verpflichtet, bis 2023 eine modern ausgestattete mechanisierte Brigade als Heeresanteil der Landstreitkräfte einsatzbereit zu haben. Die Defizite der nach Ende des Kalten Krieges eingeforderten Friedensdividende mussten dafür aufwendig beseitigt werden. Für die VJTF (L) 2023 sind die Hausaufgaben weitgehend gemacht“, schreibt das Kommando Heer.  Zur Beseitigung bestehender materieller Defizite sei allerdings entscheidend, dass das Material bis 2020 tatsächlich ausgeliefert und der eingeschlagene Aufwärtstrend in Form von steigenden Finanzlinien in den kommenden Jahren weiterhin verstetigt würden.

Eine wichtige Rolle bei der VJTF 2023 übernimmt auch die Streitkräftebasis, der unter anderem die Erfüllung logistischer Aufgaben und die ABC-Abwehr zufällt. Zwar zählten die Unterstützungskräfte nicht nominell zur VJTF, erläuterte der Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, Mitte Januar am Rande einer Pressekonferenz in Berlin. Allerdings würden sie ebenfalls in den erhöhten Bereitschaftszustand versetzt. Ähnlich wie das Heer werde auch seine Teilstreitkraft nicht die Vollausstattung in der Grundstruktur mit dem vorgesehenen Material in Gänze erreichen, sagte Schelleis. Bedarf sieht der Inspekteur etwa bei Fernmeldemitteln, IT sowie mobilen Gefechtsständen. Auch gebe es bei bestimmten Spezialfahrzeugen Engpässe, so zum Beispiel bei Container-Staplern und Feldumschlaggerät.  Positiv wirkt sich seinen Worten zufolge der Zulauf neuer Transport-Lkw aus.

Luftwaffe mit etwa 2.800 Soldaten beteiligt

Die Luftwaffe wird sich an der VJTF 2023 mit rund 2.800 Soldaten beteiligen, wie das Kommando Luftwaffe mitteilt. Mit einer Beteiligung diverser Waffensysteme und Unterstützungsmodule werde eine „qualitativ hochwertige Fähigkeitsbreite“  abgebildet. Unter anderem werden in die VJTF die Kampfflugzeuge Eurofighter und Tornado, die bodengebundene Luftverteidigung mit Patriot und Ozelot, Lufttransport/MedEvac  mit dem Transportflugzeug A400M und dem schweren Hubschrauber CH-53 sowie Spezialkräfte  mit dem Helikopter H145M involviert sein. Des Weiteren plant die Luftwaffe Soldaten mit Unterstützungsaufgaben und im Führungselement ein.

Rüstungsvorhaben mit besonderer Bedeutung für die Module der Luftwaffe in der VJTF 2023 sind unter anderem der  Ausbau der Luft-Boden-Rolle sowie der Fähigkeit zur taktischen Aufklärung des Eurofighters sowie die Erhöhung der Stückzahlen für Hochwertmunition für fliegende und bodengebundene Waffensysteme. Dazu zählen PAC-3-Flugkörper für das Luftverteidigungssystem Patriot. Dem Vernehmen nach soll überdies noch im laufenden Jahr ein Vertrag über  die Beschaffung von Präzisionsbomben des Typs GBU-54 geschlossen werden.

Darüber hinaus haben die Planer der Luftwaffe den   Ausbau der taktischen Fähigkeiten des A400M einschließlich Selbstschutz und MEDEVAC –  das  so genannte Intra Theatre Airlift Service Fixed Wing, ITAS FW –  vorgesehen. Mit Fokus auf die VJTF soll auch  die vollständige  Einsatzreife H145 LUH SOF (Special Operation Air Task Unit Rotary Wing, SOATU RW) erreicht werden. Außerdem beabsichtigt die Luftwaffe den  Aufbau einer taktischen Führungsfähigkeit  – Special Operation Air Task Group Headquarters oder SOATG HQ – für Spezialkräfte Luft und den Ausbau der operativ-taktischen Führungsfähigkeit (Joint Force Air Component Headquarters) für Luftstreitkräfte.

Keine expliziten Vorhaben der Marine

Wie das Marinekommando in Rostock betont, nehmen Einheiten der Marine seit Aufstellung der Ständigen Maritimen Einsatzverbände  im Jahr 1968 als einzige Teilstreitkraft fortlaufend in diesen teil. Die Ständigen Maritimen Einsatzverbände (SNMG / SNMCMG) seien dabei Bestandteil der VJTF, wobei die maritimen Kräfte, im Gegensatz zu den Landstreitkräften, in einem jährlichen Zyklus gestellt würden. Kräfte der Deutschen Marine bilden damit einen elementaren Bestandteil des maritimen VJTF 2019, 2020. 2021, 2022, 2023 und den folgenden Jahren.

Aufgrund der permanenten Teilnahme an den Einsatzverbänden wurden keine expliziten Rüstungsvorhaben zur Befähigung von Kräften der Marine für die Teilnahme an der VJTF 2023 initiiert. Die Kräfte der Marine unterliegen vielmehr einem fortlaufenden Instandhaltungs- und Modernisierungsprozess zur Sicherstellung der für einen Ständigen Maritimen Einsatzverband geforderten Fähigkeiten und Schiffsausrüstung, wie das Marinekommando mitteilt.  Darüber hinaus orientierten sich Umfang und Ausstattung der deutschen Marinekräfte seit Jahrzehnten an den im NATO-Rahmen übernommenen Verpflichtungen.

lah/28.1.2020