Die Kampfflieger der US-Marine haben mit der AIM-174B – eine luftgestützte Variante der von Schiffen verschossenen SM-6-Rakete – seit jüngstem eine neue Luft-Luft-Rakete für große Reichweiten im Arsenal. Dies bestätigte die U.S. Navy auf Anfrage des Online-Fachportals Naval News, nachdem erste Bilder einer mit der AIM-174B bewaffneten F/A-18F im Netz aufgetaucht waren. Das Kampfflugzeug gehört offenbar zum US-Träger Carl Vinson und nimmt aktuell an der Übung RIMPAC 2024 im Pazifik teil.
Es ist zwar seit 2021 bekannt, dass die US-Marine an der Integration einer luftgestützten Variante der Standard Missile 6 (SM-6) auf die F-18-Kampfflugzeuge arbeitet. Seitdem wurden mehrere Tests durchgeführt. Dass die Waffen offiziell in das Arsenal der kämpfenden Truppe aufgenommen wurden, ist hingegen neu.
Bei der SM-6 handelt es sich um ein Mehrzweck-Wirkmittel, deren primäre Funktion die schiffsgestützte Luftverteidigung sowie d ie Abwehr ballistischer Raketen (Ballistic Missile Defence oder BMD) auf weite Distanzen ist. Die genaue Reichweite der Waffe ist eingestuft, soll öffentlich zugänglichen Informationen zufolge jedoch jenseits der 350 km liegen. Neben der Luftverteidigung kann die radargelenkte Rakete zudem zur Bekämpfung von Bodenzielen sowie Schiffen genutzt werden.
Der genaue Hintergrund der AIM-174B-Integration auf Kampfflugzeuge der U.S. Navy ist bis heute offiziell nicht bekanntgegeben worden. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass die Waffe eine wichtige Rolle in der Ausrichtung der US-Marine auf mögliche Kriegsszenarien im pazifischen Raum zukommen soll. Spekuliert wird darüber, dass die AIM-174B primär dem luftgestützten Schutz von US-Flottenverbänden dienen könnte.
So soll die Waffe den US-Kampffliegern beispielsweise im Falle eines Krieges mit China die Fähigkeit verleihen, mit dem Antischiffsflugkörper YJ-12 bewaffnete Flugzeuge vom Typ JH-7A und H-6J auf extrem weite Distanzen abzuschießen. Die YJ-12 gilt mit einer Reichweite von rund 500 km und einer Geschwindigkeit von Mach 4 als Schiffskiller, so dass die Navy seit rund 10 Jahren an Konzepten zur Abwehr von YJ-12-Saturierungsattacken auf die eigenen Trägerverbände arbeitet. Die AIM-174B – deren Reichweite aufgrund des Starts aus der Luft die Reichweite der SM-6 Experten zufolge deutlich übertreffen soll – dürfte die US-Marie in die Lage versetzen, mögliche chinesische Bomber abzuschießen noch bevor diese ihre „tödliche Ladung“ auf den Weg schicken. Aus der Luft verschossene Raketen gleichen Typs haben üblicherweise Reichweitenvorteile gegenüber Bodenvarianten, da die Wirkmittel nicht aus eigenem Antrieb heraus auf eine Marschgeschwindigkeit beschleunigen müssen. Diese Aufgabe übernimmt das Luftfahrzeug für die Rakete. Die so eingesparte Energie kann für die höhere Flugreichweite genutzt werden.
Auch die Bekämpfung von anderen großen Luftzielen auf weite Distanzen wäre mit der luftgestützten SM-6 möglich. Zu einem potenziellen Zielspektrum dürften neben Radarflugzeugen auch Tanker sowie fliegende Kommunikationsknoten und Führungsflugzeuge gehören.
Weiterhin wird darüber spekuliert, dass mit der AIM-174B bewaffnete Kampfflugzeuge dazu dienen könnten, den BMD-Einsatzradius (BMD: Ballistic Missile Defense) auszuweiten. So könnten die F-18 vergleichsweise schnell Räume abseits des Wirkradius von US-Kriegsschiffen erreichen und die Waffe dort zum Einsatz bringen. Träfe dies zu, wäre die BMD-Fähigkeit der Navy nicht mehr auf die Präsenz der US-Flottenverbände beschränkt.
Last but not least wird gemutmaßt, dass die Waffe genauso wie die SM-6 bei Bedarf auch gegen feindliche Bodenziele und Schiffe zum Einsatz kommen könnte.
Waldemar Geiger